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Die US-Politik und der amerikanische “Antiamerikanismus”

Nicht selten kann man sich bei Wikipedia ja fragen, welcher Lobbyist da schon wieder am Werke war. Schaut man unter dem Begriff „Antiamerikanismus“ nach, ist als Einstieg zu lesen:

>>Unter Antiamerikanismus wird im Allgemeinen eine „ablehnende Haltung gegenüber der Politik und Kultur der USA“ verstanden.[1] Das Random House Unabridged Dictionary definiert Antiamerikanismus als „den Vereinigten Staaten von Amerika, ihrer Bevölkerung, ihren Prinzipien oder ihrer Politik entgegengestellt oder feindlich gesinnt.“[2]<<

(Wikipedia, abgerufen am 28.12.2014)

Jetzt wissen wir zumindest, was die intellektuelle Grundlage von George W. Bushs legendärer Klarstellung: „Either you are with us, or you are with the terrorists“ gewesen ist. Legt man obige Definition zugrunde, laufen wirklich viele US-AmerikanerInnen herum, die eine schwerst antiamerikanische Haltung an den Tag legen. Da fragt man sich doch, ob es sich um kollektiven Masochismus oder eher eine irrwitzige Definition handelt. Doch irrwitzig ist sie nicht, sondern „pädagogisch“, denn das ist die Tradition solcher Wörterbücher, wie des „Random House Unabridged Dictionary“, aus dem auch das unter Fußnote 1 zitierte deutschsprachige Wörterbuch sich offenbar hat inspirieren lassen. Vor einigen Jahrzehnten wurde noch deutlich ausgesprochen, worum es solch einer Art von Wörterbüchern geht: sie „dient als eine Anleitung für Menschen, die das Bedürfnis nach einer Anleitung verspüren; die sich von der einen Statusebene auf die andere bewegen und Empfehlungen wünschen, wie sie die Erwartungen jener erfüllen können, die bereits dort sind, wo sie selbst sein wollen”.1 Und so will der Bertelsmannkonzern als Mehrheitseigner von Random House natürlich nicht im Wege dabei stehen, vielen Menschen weltweit die Möglichkeit zu eröffnen, die in diesem Sinne „richtigen“ Bedeutungen der Begriffe zu lernen.

Kommen wir aber zu jenen Dingen zurück, die einen dazu bringen, sich der Politik der USA entgegenzustellen, mit anderen Worten, „antiamerikanisch“ zu sein nach der Definition für AufsteigerInnen, wie sie von Wikipedia, Bertelsmann und Random House geliefert wird. Da sehr viele ressourcen- und publikationsstarke Institutionen weltweit darum bemüht sind, das richtige Bild der Politik dieser „unentbehrlichen Nation“ (Obama) oder eben des „globalen Hegemon[s]“, der diese „freie und friedliche Weltordnung“ „garantiert“ (SWP/GMF), zu malen, sollte man die validen Quellen zu der Verbrechensliste der politisch Verantwortlichen doch miteinander austauschen wie Sticker, um der Weltverdrehung entgegenzuwirken. Wie effektiv hier Überzeugungen von der veröffentlichten Meinung in der öffentlichen Meinung verankert wurden, hat nicht zuletzt Präsident Obama in seiner West Point-Rede ausgesprochen:

“In der Ukraine ließen Russlands letzte Handlungen an die Tage erinnern, als Sowjet-Panzer in Osteuropa einrollten. Aber dies ist kein Kalter Krieg. Unsere Fähigkeit die Weltmeinung zu gestalten, half dabei, Russland auf Anhieb zu isolieren. Aufgrund der amerikanischen Führung verurteilte die Welt augenblicklich die russischen Handlungen; Europa und die G7 schlossen sich uns an, Sanktionen aufzuerlegen; die NATO verstärkte unsere Zusage an die osteuropäischen Alliierten.”2

(Präsident Obama, Remarks by the President at the United States Military Academy Commencement Ceremony, 28.5.2014, West Point)

Dass hierbei die massenmedialen Strukturen eine große Rolle gespielt haben, versteht sich von selbst. Walter van Rossum hat hier eine sehr schöne Dokumentation zur allgemeinen medialen Zerrbildkonstruktion der US-Politik geleistet, auf dessen Script ich noch einmal verweisen möchte:

„Zweierlei Maß. Die Berichterstattung über Russland und Amerika“ (März 2013)

Besonders auf den Punkt gebracht hat die Ideologie, die dem zugrunde liegt und nun in der Russlandkonfrontation das Ruder erneut immer fester in die Hand nimmt – da sie in erster Linie von den Eliten geteilt wird – der Journalist Karel van Wolferen, an dessen Ausführungen noch einmal erinnert sei:

“Um die europäische Medienloyalität Washington gegenüber in Sachen Ukraine und das sklavische Verhalten europäischer Politiker ins rechte Licht zu rücken, muss man den Atlantizismus kennen und verstehen. Es ist ein europäischer Glaube. Er ist natürlich nicht zu einer offiziellen Doktrin geworden, funktioniert aber wie eine. Es ist gut zusammengefasst durch den niederländischen Slogan zur Zeit des Irakkriegs „zonder Amerika gaat het niet“ (ohne Amerika geht es nicht). Unnötig zu sagen, dass der Atlantizismus ein Kind des Kalten Krieges ist. Ironischerweise hat er an Kraft gewonnen, als die Bedrohung durch die Sowjetunion für eine immer größere Zahl europäischer politischer Eliten immer weniger überzeugend wurde. “

(Karel van Wolferen, Die Ukraine, korrupter Journalismus und der Glaube der Atlantiker , 14.8.2014, Übers. NachDenkSeiten)

Ich verweise daher auf einige jüngere Artikel, die vielen Menschen zur Immunisierung gegen diesen Totalausfall in Sachen Faktenwahrnehmung verhelfen sollten:

Dan Froomkin räumt mit der Vorstellung auf, die Politik der Regierung Obama würde eine andere Linie verfolgen als jene seines in Europa weniger beliebten Vorgängers George W.:

„Froomkin Blogs Again: Obama Makes Bushism the New Normal“ (The Intercept, 3.9.2014)

Passend dazu zeigen Jeremy Scahill und Ryan Devereaux auf, wie die Terrordatenbanken unter Präsident Obama in ihrer Beliebigkeit am Ausufern sind, indem mittlerweile hunderttausende Menschen samt biometrischer Daten erfasst werden:

„Barack Obama’s Secret Terrorist-Tracking System, by the Numbers“ (The Intercept, 5.8.2014)

Glenn Greenwald verdeutlicht, wie unfassbar pervertiert die Wertmaßstäbe und das Selbstbild westlicher Staaten unter US-Führung sich darstellen, wenn man allein auf das Ausmaß der Gewalt schaut, mit der weite Teile besonders der islamischen Welt seit den 80er Jahren überzogen wurden:

„How Many Muslim Countries Has the U.S. Bombed Or Occupied Since 1980?“

Empfohlen sei auch die Dokumentation „Dirty Wars – Schmutzige Kriege“, die auf dem Buch „Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“ von Jeremy Scahill basiert. Hier wird unmissverständlich deutlich, dass – egal, wie friedlich und grün der eigene Vorgarten aussehen mag – die Welt jetzt, in diesem Moment mit grausamen Kriegen und verdeckten Gewaltaktionen überzogen wird, die jedes Gefasel von einer friedfertigen Supermacht als totalitäre Indoktrination enttarnen:

“Vor unseren Augen werden inoffizielle Kriege angezettelt, überall auf der Welt werden Ausländer und Amerikaner gleichermaßen per Dekret des Präsidenten ermordet. Der Krieg gegen Terror verwandelt sich in eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Kann solch ein Krieg jemals enden? Und was geschieht mit uns, wenn wir endlich sehen, was direkt vor unseren Augen verborgen war?”

(Jeremy Scahill, Schmutzige Kriege – Dirty Wars, Dokumentation von 2013)

Dass der Widerstand auch in den formalen Demokratien, der dieser Agenda entgegengesetzt werden könnte, in jedem Falle gebrochen werden soll, macht nicht zuletzt ein Artikel von Nafeez Ahmed aus dem Guardian deutlich, in dem es um Aufträge des Pentagon geht, die an sozialwissenschaftliche Institutionen vergeben werden, um Techniken zu entwickeln, zukünftige Protestbewegungen unter Kontrolle zu bringen:

„Pentagon preparing for mass civil breakdown“ (The Guardian, 12.6.2014)

Derartige Maßnahmen verwundern natürlich all jene nicht, die schon immer wussten, was mit dem Begriff „Demokratie“ im Elitenjargon tatsächlich gemeint ist. Hieran erinnert Glenn Greenwald noch einmal:

„What ‘Democracy’ Really Means in U.S. and New York Times Jargon: Latin America Edition“ (The Intercept, 17.10.2014)

Bemerkenswert ist hauptsächlich, wie von all diesen Erkenntnissen allenfalls Fragmente in die breite öffentliche Debatte hierzulande Einzug halten. Was in dem einen Kontext benannt wird, weil es sich nicht mehr verschweigen lässt, wird in dem anderen relevanten Kontext scheinbar wieder komplett vergessen. Bedenkt man die Gemeinschaftserzählung, die um den Gründungsgedanken der Vereinigten Staaten gestiftet wurde, so war es wohl niemals amerikanischer „antiamerikanisch“ zu sein als heute.

 

  1. Original: “serves as a guide to people who feel the need for a guide, who are moving from one status level to another and desire advice as to the expectations of those who are already where they wish to be”, rezitiert aus: Dictionaries and the Authoritarian Tradition: Study in English Usage and Lexicography, R. A. Wells, 1973, S. 112/113 []
  2. Übers. Maskenfall, Original: “In Ukraine, Russia’s recent actions recall the days when Soviet tanks rolled into Eastern Europe. But this isn’t the Cold War. Our ability to shape world opinion helped isolate Russia right away. Because of American leadership, the world immediately condemned Russian actions; Europe and the G7 joined us to impose sanctions; NATO reinforced our commitment to Eastern European allies […]” []

Jascha Jaworski

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