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Demografischer Wandel – Was man wirklich wissen muss

Die öffentlich zu vernehmenden Meinungen und Empfehlungen bezüglich der demografischen Entwicklung1 sind in der Regel fragmentiert und einseitig. Obwohl die Alterung unserer Gesellschaft für viele wirtschaftsliberale Reformen, die Privatisierung der Renten und in letzterem Zusammenhang manchmal sogar für den deutschen Exportüberschuss herhalten muss, gibt es keine ernsthaften Debatten über die Stichhaltigkeit solcher Argumente, geschweige denn einen Überblick über den zeitlichen Ablauf des demografischen Wandels, was für Folgen er im Speziellen nach sich zieht, und welche (wirtschafts-)politischen Instrumente und Rahmenbedingungen tatsächlich zur Finanzierung eines Rentenniveaus beitragen können, das die gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen in der Zukunft sichern kann. Ohne dieses Hintergrundwissen sind wir jedoch anfällig für Behauptungen, die dazu dienen, die Aufregung um den demografischen Wandel im Sinne zweckentfremdeter Interessen zu instrumentalisieren. Dieser Beitrag wird deshalb Licht ins Dunkel bringen.

Die Entwicklung der Demografie

– Die Demografiedebatte dreht sich natürlich um die Altersstruktur der Bevölkerung. Die Altersstruktur lässt sich anhand einer Alterspyramide optisch anschaulich darstellen. Sie ist vor allem das Ergebnis der in Deutschland seit langem, selbst im Vergleich zum Ausland niedrigen Geburtenrate. Da die Geburtenrate seit Mitte der 1970er auf dem niedrigen Niveau von ca. 1,4 Kindern pro Frau verharrt, gibt es in Deutschland relativ zur Gesamtbevölkerung im Vergleich zum Ausland deutlich weniger Menschen, die jünger als 40 Jahre alt sind2. Eine langfristig anhaltende Rate dieser Höhe bedeutet, dass die Bevölkerung ohne Ein- und Auswanderungen ca. alle 80 Jahre3 um die Hälfte bzw. ca. 50%4 schrumpft.

Noch stehen die geburtenstarken 1960er Jahrgänge im Arbeitsleben, aber sie werden zwischen 2020 und 2035 in das Rentenalter übergehen. Dadurch, dass die Geburtenrate zwischen 1967 und 1975 drastisch von 2,5 auf 1,5 gefallen ist, ergibt sich in der beschriebenen Periode ein zügiger Anstieg der Rentenempfänger und eine deutliche Verringerung der Anzahl der Personen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen (könnten), so dass recht plötzlich deutlich weniger potentielle Arbeitskräfte jedem Rentenempfänger gegenüberstehen.

Nach 2035 wird die Bevölkerungszahl weiter sinken, aber sich das Verhältnis zwischen potentiellen Erwerbspersonen und Personen im Rentenalter kaum noch ändern, insofern sich die Lebenserwartung, die Arbeitsmarkt- sowie Rentenpolitik  und die Geburtenrate in dieser Zeit nicht deutlich ändern (Siehe dazu z. B. die Bevölkerungsvorausberechnungen des statistischen Bundesamtes Seite 20, Schaubild 65).

– Vergessen werden darf im Zuge des demografischen Wandels nicht, dass eine Gesellschaft mit geringer Geburtenzahl auch weniger Kinder versorgen muss. Auch wenn ein nicht unbeachtlicher Anteil dieser Versorgung über das Nettoeinkommen der Familien geleistet wird, so entfallen dem Staat vor allem Bildungsausgaben, Kindergeld, Betreuungszuschüsse, Infrastruktur, Gesundheitsleistungen und sonstige familienpolitische Ausgaben. Diese Kostenersparnisse sind um so bedeutender, da junge Erwachsene mittlerweile erst mit durchschnittlich über 20 Jahren in das Erwerbsleben eintreten. Seit 1975 fingen wir allmählich an, von diesen Ersparnissen zu profitieren, ohne mehr ältere Menschen versorgen zu müssen. Zur Zeit ist dadurch die Quote der insgesamt von den Erwerbstätigen zu versorgenden Personen in Deutschland im Vergleich zum Ausland eher niedrig6, solange die 1960er Jahrgänge noch im Erwerbsleben stehen. Nach 2035 wird sich die Quote bei langfristig konstanter Geburtenziffer auf einen mit dem Ausland vergleichbaren Wert einpendeln. Die Versorgung älterer Menschen erfordert zwar höhere finanzielle Leistungen, aber die Entlastungen als Folge niedrigerer Kinderzahlen dürfen nicht vernachlässigt werden.

Bedeutung für die Sozialsysteme & den Arbeitsmarkt

Die stark steigende Anzahl von Rentnern zwischen 2020 und 2035 erhöht die finanziellen Erfordernisse der Renten-, Pflege- und Krankenversicherungen in diesem Zeitraum im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung kräftig, wenn die Wirtschaft nicht unerwartet stark wachsen und/oder die Rentenansprüche eines jeden Rentners real vermindert werden sollten.

– Auch die abnehmende Anzahl der Erwerbspersonen in dem genannten Zeitraum kann zu einem Problem werden, wenn es nicht genügend Arbeitslose und andere potentielle Erwerbspersonen gibt, die diese Ausfälle auffangen können. Da der aktuelle Fachkräftemangel jedoch übertrieben wird7, gibt es zur Zeit noch Spielraum zum Abbau der Unterbeschäftigung und Aktivierung ungenutzter Erwerbspotentiale8, der ebenso massive Einsparungen beim Arbeitslosengeld ermöglicht. Die Rente mit 67 erhöht bis 2030 zudem nochmals die Zahl der Erwerbspersonen, so dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass es zu einem Arbeitskräftemangel kommt (Eine Rücknahme der Rente mit 67 wäre verkraftbar. Auch deshalb, weil es bessere Möglichkeiten zur Mobilisierung von Erwerbspersonen gibt.). Darüber hinaus sind auch keine Wirtschaftskrisen9 auszuschließen, die die Arbeitslosigkeit erhöhen können.

Sollte es zu einem echten Fachkräftemangel kommen, so ist dieser eine Chance für eine bessere Verhandlungsgrundlage der Arbeitnehmer, um die langanhaltend schwache Lohnentwicklung zu korrigieren. Höhere Löhne stärken auch die Basis für die Beiträge zu den Sozialsystemen.

– Ab 2035 wird der Arbeitsmarkt netto zwar immer noch jährlich Erwerbspersonen verlieren, aber es werden schrittweise ebenso die großen Generationen im  Rentenalter versterben, so dass sich das Verhältnis zwischen Rentnern und potentiellen Erwerbspersonen bei eher unbedeutenden Veränderungen von Lebenserwartung, Geburtenrate, Renten- sowie Arbeitsmarktpolitik nicht mehr signifikant ändern wird. Ab 2035 wird es daher vermutlich keine weitere Verschärfung der relativen finanziellen Belastungen geben. Daher wäre ein Fachkräftemangel nach dem Jahr 2035, der sich bei immer weiter sinkender Erwerbspersonenanzahl irgendwann ergeben müsste, ab da an erst recht kein Problem. Stattdessen gäbe es durch die ständige Suche nach Ersatzpersonal dann sogar gute Chancen, den Anteil finanziell abhängiger Personen an der Bevölkerung durch eine stetige Erhöhung der Erwerbstätigenquote wieder zu verringern10.

Finanzierungssicherung lebenswürdiger Renten

Im folgenden sollen Möglichkeiten aufgezählt werden, die (unter bestimmten Umständen) bei der Finanzierung der Renten behilflich sein können. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass diese Maßnahmen natürlich auch anderweitige gesellschaftliche Auswirkungen haben können, die im Auge einer Vielzahl von Betrachtern unerwünscht sind. Daher ist die folgende Auflistung keine Sammlung von Musterlösungen. Das gilt vor allem für den zweiten Abschnitt, die “Steigerung des Erwerbspotentials”.

Finanzierungsbasis und -spielräume erweitern

– Jeder Abbau von Arbeitslosigkeit entlastet die Arbeitslosenkassen und schafft Spielräume für höhere Ausgaben in anderen Sozialkassen. Durch die stetige Verkleinerung der Anzahl potentieller Erwerbspersonen im Zuge des demografischen Wandels gibt es sogar optimale Voraussetzungen, um die Arbeitslosigkeit komplett zu beseitigen, und Gelder für andere Sozialkassen zu verwenden.

– Mit der Hilfe einer guten Konjunktur/Wirtschaftspolitik kann man unter Umständen sogar zusätzliche Arbeit schaffen, um die Einnahmen zu steigern.

Hohe Produktivitätssteigerungen pro Stunde11 wären besonders wünschenswert, um die Leistungsfähigkeit der Erwerbstätigen, damit das Wirtschaftswachstum, den Spielraum für Lohnerhöhungen und somit die Sozialbeiträge zu erhöhen. Bereits in der Vergangenheit ist der Anteil der Rentenausgaben an der Wirtschaftsleistung gestiegen, aber durch das stetige Wachstum der Produktivität ließen sich die höheren Rentenbeiträge problemlos aus den gestiegenen Bruttoeinkommen zahlen. Staatliche Investitionen, das Aufbrechen von Monopolen/Kartellen, Innovationsförderung und die Vermeidung einer anhaltenden Kapazitätsunterauslastung helfen bei der Produktivitätsförderung, auch wenn es einen hohen Anteil an natürlichen Faktoren auf den technischen Fortschritt geben sollte, auf die die Politik keinen Einfluss üben kann. Zur Zeit und im langfristigen Trend zeigt sich allerdings eine deutliche Abschwächung der Produktivitätsentwicklung, die bei einer Verstätigung die Finanzierungmöglichkeiten erheblich negativ beeinträchtigen kann.

– Wie genannt, wären reale Lohnsteigerungen oberhalb der Produktivität durchaus von Vorteil, da die prozentualen Sozialbeiträge sich schließlich an der Lohnhöhe orientieren. Zumindest dann, wenn die Wettbewerbssituation der Volkswirtschaft, wie in Deutschland, diese zulässt.

– Ein direkte Steigerung der Beitragssätze zur Renten-, Pflege- und Krankenversicherung ist je nach Entwicklung anderer Finanzierungsoptionen notwendig. Je nach Spielraum für höhere Löhne, kann man auch die Arbeitgeber an diesen Beiträgen beteiligen.

– Eine gute nationale sowie internationale Wirtschaftspolitik zur Vermeidung zukünftiger Konjunktureinbrüche und den damit verknüpften Verlusten von Einnahmen sollte selbstverständlich sein.

– Die Abschaffung der staatlichen Förderung der privaten Rentenvorsorge, da die Privatrente ineffizienter ist12 .

Steigerung des Erwerbspotentials

Kommt es zu einem Fachkräftemangel, können verschiedene Instrumente die Anzahl der Erwerbspersonen erhöhen, um weiterhin Arbeit schaffen/aufrechterhalten zu können, und die Einnahmesituation zu verbessern/stabilisieren. Allerdings ist diese Politik tatsächlich in den meisten Fällen nur im Gleichklang mit einem massiven Arbeitskräftemangel brauchbar. Ansonsten würde sie vor allem nur den Druck auf den Arbeitsmarkt erhöhen, und die Lohnentwicklung dämpfen. Zudem bewirken insbesondere diese Maßnahmen zum Teil gravierende gesellschaftliche Nebeneffekte.

– Man kann die Kinderbetreuung fördern13, um mehr Frauen die Erwerbstätigkeit – möglicherweise auch eine Aufstockung von der Teil- zur Vollzeitstelle – zu ermöglichen. Aus Gleichberechtigungsgründen und zur Verringerung der Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern ist sie ebenso hilfreich. Die bessere Vereinbarkeit mit dem Beruf kann auch die Geburtenrate positiv beeinflussen. Allerdings ist die Kinderbetreuung ebenso mit der “Ökonomisierung” der Familie verbunden, die den Eltern Zeit und Zuwendung für ihre Kinder nimmt.

– Eine gezieltere Ausbildung von Fachkräften (jungen & bedürftigen Menschen, z. B. mehr Informationen über Arbeitsmarktchancen & Inhalten einzelner Qualifikationen vermitteln) wäre ein Ansatz, um die “Passgenaugkeit” von Arbeitnehmern auf gesuchte Stellen zu erhöhen, damit die Arbeitslosigkeit ohne einen Fachkräftemangel möglichst nahe an eine Vollbeschäftigung herangeführt werden kann. Das schließt ebenso die Minimierung von unnötigen Mehrfach- sowie längeren Ausbildungen ein, die nochmals dazu beiträgt, dass sich Personen dem Arbeitsmarkt zuwenden können, anstatt sich ausbilden zu lassen. Zudem können dadurch die Bildungsausgaben sinken. Der Nachteil dieser Maßnahme ist, dass man junge Personen – obwohl viele in besseren Informationen eine Hilfe sehen könnten – in einem gewissen Maße gleichfalls dazu verleitet, ihre Bildungswünsche an materiellen & ökonomischen Werten auszurichten, sowie auf einen Wandel und neue, besondere Berufswünsche zu verzichten.

– Eine Freiwillige Rente bis z. B. 70 wäre ebenso denkbar. Das heißt, anstatt das Rentenniveau für alle zu kürzen, wenn sie nicht länger arbeiten, erhalten Personen, die länger im Berufsleben stehen, einen attraktiven Bonus. In Verbindung mit einer guten Gesundheitspolitik und einer zunehmenden Lebenserwartung könnte das freiwillige oder sekundär sogar das reguläre Renteneintrittsalter weiter heraufgesetzt werden, insofern der Arbeitsmarkt dies sinnvoll erscheinen lässt. Können ältere Arbeitnehmer länger arbeiten, hat dies den doppelten Vorteil, dass sich nicht nur die Zahl der Erwerbspersonen erhöht, sondern auch die Anzahl der Rentenbezieher verkleinert. Der Nachteil dieser Politik sind die unterschiedlichen physischen/individuellen Möglichkeiten der Menschen, länger arbeiten zu können. Daher ist ein freiwilliger Aufschub der Rente deutlich zu favorisieren.

Längere Wochen-Arbeitszeiten jedes Erwerbstätigen mit entsprechender Mehrbezahlung sind über Steueranreize realisierbar. In diesem Zusammenhang wäre ein Stufentarif in der Einkommenssteuer bis zu einer Höhe durchschnittlicher Vollzeitbeschäftiger sinnvoll, um den Anreiz zu geben, seine Arbeitszeit zumindest von Teil- auf Vollzeit zu erweitern, oder Vollzeitarbeit auszuweiten. Auch das Ehegattensplitting, bei dem Frauen oft keinen Anreiz haben, Vollzeit zu arbeiten, weil sie ihren Freibetrag auf den Partner mit den hohen progressiven Steuersätzen verlegen können, könnte abgebaut werden. Längere Arbeitszeiten sollten jedoch, wenn überhaupt, erst dann eingesetzt werden, wenn alle anderen Maßnahmen an ihre Grenzen gestoßen sind, da sich nebenbei keine Kosteneinsparungen erzielen lassen. Der Nachteil dieser Maßnahme ist erneut die damit verbundene Tendenz zur Ökonomisierung des Lebens.

Nettozuwanderung kann nicht nur die Anzahl der Erwerbspersonen erhöhen, sondern gleichfalls die Finanzierungsbasis verbreitern, da Einwanderer selten ohne finanzielle Rücklagen ihren Wohnwort wechseln. Dies bedeutet allerdings auch, dass Einwanderung einen Fachkräftemangel nur bedingt abbauen kann, weil durch sie auch mehr Güter nachgefragt werden, die den Mangel dann wieder verschärfen. Dies kann allerdings als Vorteil gesehen werden, da Zuwanderung einer besseren Einkommensentwicklung und einer Steigerung der internen Erwerbspersonenanzahl nicht gravierend entgegenwirkt. Ein Fachkräftemangel kann sich durch Einwanderung auch zusätzlich verschärfen, wenn die Qualifikationen der Immigranten nicht zu den angebotenen Stellen passen. Da Einwanderer ebenso älter werden, zukünftig Rente beziehen und dauerhaft ihre Geburtenrate anpassen werden14, ist Einwanderung jedoch nur dann eine Möglichkeit zur Änderung des Verhältnisses zwischen Erwerbspersonen und Pensionären, wenn sie im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung relativ hoch ist, und dauerhaft anhält. Einwanderung spart auch Bildungsinvestitionen ein. Wie gut die Integration von Zuwanderern – insbesondere bei hohen Ausmaßen – gelingen kann, und inwiefern Qualifikationen und eine Beherrschung der deutschen Sprache bei Immigranten, gerade auch in Bezug zur Integration, vorhanden sein müssen, ist ein “heißes Eisen” der Einwanderungsdebatte.

Zusammenfassung

Möchte man die finanziellen Auswirkungen auf die Sozialversicherungssysteme erfassen, so ist es nicht nötig – so wie es in den öffentlichen Debatten getan wird – Hochrechnungen bis ins Jahr 2060 vorzunehmen. Die entscheidende Zeitspanne liegt zwischen 2020 und 2035, da sich innerhalb dieser das entscheidende Verhältnis zwischen potentiellen Erwerbspersonen und Rentenempfängern kräftig ändert, danach jedoch relativ konstant bleibt.

Obwohl diese spürbare Zunahme des Anteils an Pensionären tatsächlich eine finanzielle Herausforderung darstellt, bleiben in der Öffentlichkeit entscheidende Sachverhalte zumeist unberücksichtigt. Zum einen wird die Gesellschaft durch die geringen Kinderzahlen in vielerlei Hinsicht auch stark finanziell entlastet. Zweitens sind viele der potentiellen Erwerbspersonen unterbeschäftigt oder stehen aus anderen Gründen nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, obwohl sie es könnten. Selbst ohne staatliche Maßnahmen zur Förderung der Erwerbsbeteiligung gibt es viele Personen, die ihre bisher ungenutzte Arbeitskraft gerne einbringen wollen, es aber nicht können, weshalb auch ein flächebdeckender Fachkräftemangel zumindest noch übertrieben ist. Da diese unausgelasteten Erwerbspersonen zumeist selbst von den Sozialsystemen abhängig sind, entsteht sogar ein großer Entlastungsspielraum, sobald diese Personen die in den Ruhestand übergehenden 60er Jahrgänge auf dem Arbeitsmarkt ablösen. Die Anzahl der insgesamt von den Erwerbstätigen finanziell abhängigen Personen verringert sich also solange nicht, wie es noch unterbeschäftigte Erwerbspersonen gibt, die mit dem demografischen Wandel aus ihrer Abhängigkeit herauskommen können. Damit wird ein Großteil der finanziellen Mehrbelastung des demografischen Wandels durch eine ebenfalls mit dem Wandel verbundene Entlastung aufgewogen. Zudem kann die dauerhafte Verringerung der Unterbeschäftigung zu einem tatsächlichen Fachkräftemangel führen, der eine positive Lohnentwicklung, und damit auch steigende Einnahmen über die Sozialbeiträge, leisten kann. Für die Zeit nach 2035 bzw. eines echten Fachkräftemangels gibt es  zudem noch eine ganze Menge von optionalen Möglichkeiten zur Steigerung der Erwerbspersonen-Anzahl, um jedem Rentner wieder mehr Erwerbstätige gegenüber zu stellen. (NACHTRAG vom 18.04.2018: Das diese Einschätzung auch wissenschaftlich vertretbar ist, zeigt diese Studie der Hans-Böckler-Stiftung.)

Unberücksichtigt bleiben darf genauso wenig, dass es mindestens durch den technischen Fortschritt ein gewisses Maß an Produktivitäts- bzw. Wirtschaftswachstum geben wird. Die Wirtschaftsstärke ist – unabhängig von einer privaten oder einer gesetzlichen Versicherung – immer entscheidend dafür, welchen finanziellen Spielraum es für die Verteilung von Gütern bzw. Geldmitteln gibt. Ein Produktivitätswachstum pro Stunde erhöht den Spielraum für reale Bruttolohnsteigerungen, so dass es trotz möglicher Beitragssatzerhöhungen bis zum Jahr 2035 – insbesondere im Zusammenwirken mit der Entlastung der Arbeitslosensysteme – wahrscheinlich sogar möglich sein wird, die realen Nettoeinkommen von Rentnern und Arbeitnehmern gleichermaßen zu erhöhen. Nach dem Jahr 2035 sollte dies dann in jedem Fall wieder möglich sein, insofern es keine unerwarteten negativen Einflüsse auf das Produktivitätswachstum gibt15.

Fazit

Wie so oft liegt also die Vermutung nahe, dass auch der demografische Wandel von verschiedenen unternehmerischen Interessensgruppen im Sinne eigener Ziele – wie eine Privatisierung der Versicherungslandschaft und eine Aufrechterhaltung hoher Unterbeschäftigung zur Vermeidung von Lohnerhöhungen – aufgebauscht wurde, um dann nach gängiger Medienmanier sensationseifernd und unhinterfragt in die Öffentlichkeit getragen zu werden. So ließen sich mit der Herabsenkung des Nettorentenniveaus16 sowie den Riesterrenten die sehr teuren und unsicheren Privatversicherungen fördern, und mit der Rente ab 6717 ein enormes Überangebot an Erwerbspersonen aufrechterhalten, um die Lohnentwicklung zu bremsen.

  1. Mit der demografischen Entwicklung wird in der Regel die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung gemeint, die sich hauptsächlich aus dem langfristigen Trend der Lebenserwartung und der durchschnittlichen Anzahl der geborenen Kinder in einer Gesellschaft ergibt. Auch dieser Artikel wird sich nur auf Themen rund um die Entwicklug der Altersstruktur beschränken. Tatsächlich befasst sich Demografie aber mit weitaus mehr Themen, so dass sie eher als “Bevölkerungswissenschaft” bezeichnet werden kann. []
  2. Das bedeutet für Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern auch, dass eine schon im Vergleich zu ihrer Elterngeneration deutlich kleinere Generation bereits das typische Elternalter erreicht hat, und ihrerseits wiederum nur relativ wenige Kinder bekommt. []
  3. 80 Jahre ist ungefähr die Lebenserwartung der Deutschen. []
  4. Ungefähr 2,1 Kinder pro Frau ist der Wert, der bei konstanter Lebenserwartung zu einer gleichbleibenden Größe der Bevölkerung führt. 1,4 geteilt durch 2,1 ergibt nur 2/3 dieses Werts, so dass die Bevölkerung in jeder Generation um 1/3 abnimmt. Da Frauen durchshcnittlich 30 Jahre bei der Geburt sind, und sich die dann kleineren Generationen ebenfalls nur zu ca. 2/3 “reproduzieren”, halbiert sich die Bevölkerung ungefähr über einen Zeitraum von 80 Jahren. []
  5. Das Schaubild täuscht bei der Berechnung der Altersabhängigkeitsquote allerdings ein wenig, da sich mit steigender Lebenserwartung, die in der Prognose enthalten ist, auch die Gesundheit der Leute ändert, die Menschen ein längeres problemloses Erwerbsleben ermöglichen kann. Daher könnte die Altersabhängigkeitsquote zukünftig insgesamt niedriger ausfallen. Zudem werden andere Nationen aufgrund ebenfalls steigender Lebenserwartung ähnliche Anstiege der Altersabhängigkeitsquoten vorweisen.

    Die gesamte Abhängigkeitsquote einschließlich junger Menschen gibt zudem kein realistisches Bild tatsächlicher Abhängigkeiten ab, da schließlich nicht alle Personen zwischen 20 und 65 Jahren erwerbstätig bzw. in gleichem Umfang erwerbstätig sind. Arbeitslosigkeit und Erwerbsbeteiligung dieser Altersgruppe müssten für eine realistische Abhängigkeitsquote ebenfalls miteinberechnet werden. Da Deutschlands Arbeitslosigkeit & sonstige Unterbeschäftigung infolge der niedrigen Geburtenrate sinken können, hätte Deutschland zumindest in diesem Bereich weniger Probleme. []

  6. Einige Länder mit zuletzt stark gesunkener Geburtenrate liegen noch unter Deutschland, denn sie müssen kurzfristig weniger Personen mit einer noch etwas größeren Erwerbsbevölkerung versorgen. Länder mit seit einiger Zeit deutlich gestiegener oder konstanter Geburtenrate weisen allerdings eine höhere Abhängigkeitsquote aus. Zudem verzerren die festgelegten Altersgrenzen in der Google-Statistik das Bild der tatsächlichen Abhängigkeit, da Renteneintrittsalter, der Einstieg junger Leute in den Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit in allen Ländern unterschiedlich hoch sind. []
  7. Die niedrige Lohnentwicklung, schwache Preisanstiege, der reibungslose Abbau von Arbeitslosigkeit und die vielen noch vorhandenen Formen der Unterbeschäftigung deuten ebenfalls nicht auf einen flächendeckenden Fachkräftemangel hin. []
  8. Solche Potentiale sind vor allem unfreiwillige Teilzeit, die “stille Reserve” sowie Frühverrentungen infolge von Arbeitslosigkeit im Alter. []
  9. Man muss in diesem Zusammenhang auch Sondereffekte durch den Klimawandel und Rohstoffknappheiten auf die Weltkonjunktur im Hinterkopf behalten. []
  10. Diese Chancen lassen sich insbesondere dann realisieren, wenn man die im weiter unten folgenden Abschnitt “Steigerung des Erwerbspersonenpotentials” aufgeführten Maßnahmen umsetzt. []
  11. Die Produktivität pro Stunde ist die Hauptkomponente des bekannten Wirtschaftswachstums (Wachstum des BIP), die sich vor allem aus dem technischen Fortschritt ergibt. []
  12. Zur Effizienz der Privatversicherung folgt ein Zitat aus meinem Beitrag “Privat und Staat – Wirtschaftspolitische Funktionen & Fehlentwicklungen“: “Die Schwächung der gesetzlichen Rente ist hier ein gutes Beispiel. Privatisierungsbefürworter behaupten, dass aufgrund der steigenden Zahl von Rentnern pro Erwerbstätigen eine selbstständige Vorsorge unabwendbar wäre. Dabei haben sie jedoch unterschlagen, dass in einer Ökonomie immer nur die Erwerbstätigen die Nicht-Erwerbstätigen versorgen können, egal, ob es ein staatliches oder ein privates Modell gibt. Daher ist in jedem Fall die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft entscheidend, da sie bestimmt, wieviele Einnahmen alle Erwerbstätigen zusammengenommen erzielen und verteilen können. Auch Privatversicherungen legen ihre Einnahmen nur auf diejenigen um, die bereits ihre Rente beziehen, oder legen zwischenzeitig Ersparnisse bei Kreditnehmern an, die ihre zunehmenden Schulden bei einer schwachen Wirtschaftsleistung auch nur mit größeren Mühen bedienen könnten. Zusätzlich treten bei Privatversicherungen neben der Gewinnmarge – die infolge der Produkt-Intransparenz für die Verbraucher zumeist recht hoch ausfällt – mehr Arbeitsprozesse (also Kosten) auf, die den Privatversicherten von der “Rendite” abgezogen werden. Somit entstehen vor allem als Folge privater Eigenvorsorge volkswirtschaftliche Umständlichkeiten & Risiken, die die Rentner finanziell deutlich belasten. Heutige Schwächen in der gesetzlichen Rentenversicherung sind durch die schwache Lohnentwicklung, Subventionierung von Teilzeitjobs in der Sozialversicherung und die kaum gestiegene Zahl der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden (und damit die sozialversichrungspflichtige Einnahmebasis) in einem hohen Maße selbst verursacht, und würden zumeist auch die Bezahlbarkeit von Privatversicherungen erschweren.” []
  13. Besonders zu nennen sind Krippenplätze, subventionierte Kindergartenbetreuung und Ganztagsschulangebote. []
  14. Die meisten Einwanderer kommen aktuell aus Ländern mit ähnlich niedrigen Geburtenzahlen. []
  15. Ökologische Herausforderungen samt Rohstoffknappheiten könnten zukünftig ggf. auch die Leistungsfähigkeit vieler Wirtschaftsprozesse, technischer Systeme und Maschinen negativ beeinflussen, so dass die gesamtwirtschaftliche Produktivität darunter leidet. []
  16. Das ist der Anteil des letzten Nettogehaltes, den ich als Rente ausgezahlt bekomme. []
  17. Seit 2010 wird das gesetzliche Rentenalter bis 2030 schrittweise von 65 auf 67 angehoben. Wer vorher dem gesetzlichen Alter in die Rente eintritt, muss deutliche Abschläge hinnehmen. Solche Abschläge werden viele Personen hinnehmen müssen, denn wer schon älter ist, bekommt bei Arbeitslosigkeit zumeist nicht mehr so leicht einen Job, oder ist aus physischen Gründen kaum oder gar nicht mehr dazu in der Lage, seinen Beruf auszuüben. []

Jochen Schölermann

6 Kommentare

  1. Die Passagen zur Produktivität möchte ich noch einmal betonen. Bei einer moderaten Produktivitätsentwicklung wäre der o.g. demographische Wandel kaum noch ein Problem (bei entsprechender Flankierung durch gute Ausbildungsmöglichkeiten). Wenn sich in den letzten Jahren eine geringere Produktivitätsentwicklung abzeichnet, nicht nur in Deutschland, so ist dies wohl der Nachfragekrise und entsprechenden Kapazitätsunterauslastung geschuldet. Hier noch einmal die Schlüsselgrafik zur perversen Entwicklung von Stundenproduktivität und Arbeitnehmerentgelt in Deutschland:
    http://www.maskenfall.de/wp-content/uploads/2013/07/brd-prodwage-sum.png
    Bei produktivitätsgekoppelter Lohnentwicklung und somit rascher steigenden Bruttolöhnen wäre es auch kein Problem, wenn der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung sich etwas steigern würde, um entsprechend etwas höhere Arbeitnehmerentgeltanteile in den Dienst für die erhöhte Lebensspanne der Bevölkerung zu stellen. Hier auch noch eine Produktivitätsrechnung gewerkschaftlicherseits von 2011:
    http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/110707_norbert_reuter_produktivitaet_und_demografie.pdf

    Unter dem aktuellen Regime der miserablen und hoch subventionierten Privatrente profitiert hingegen tatsächlich nur die Versicherungswirtschaft. Dazu erinnere ich auch an eine schöne aufklärerische Dokumentation der ARD von 2012:
    “Das Riesterdilemma”, https://www.youtube.com/watch?v=0zDUD9ZgPe0
    (Tatsächlich hätte es Riester-Lüge heißen müssen).

  2. Vielen, vielen Dank für diese ideologiefreie Zusammenfassung der volkswirtschaftlichen sowie bevölkerungspolitischen Aspekte des demografischen Wandels in Deutschland.
    Selten ist eine Debatte so von den ausgefeilten Strategien der Lobbyisten der Arbeitgeberseite und speziell der Finanzindustrie injiziert und bestimmt worden, wie der “Demokratische Wandel”.
    Selbst heutzutage, wo vieles, wie zB. die Sinnlosigkeit, ja die Schädlichkeit der Riester-Rente, umfassend offen gelegt wurde, halten sich die Halb/Unwahrheiten der Lobby-Klientel in den Hirnen der “normalen” Mitbürger aber vor allem auch bei den Medienschaffenden und Politikern.
    Sie kommen dann, in solchen Nebensätzen, wie” dem demkrafischen Wandel geschuldet” oder “wie wir aus der Umbezahlbarkeit der demografischen Renten-Entwicklung wissen” zu Tage.
    Solch eine verfestigte und indoktrinierte “Überzeugung” kann man häufig nur schwer wieder aufbrechen.
    Ein Mittel wäre die Verbreitung dieses Artikels nebst Ergänzung.

    Passend dazu auch aus No 196:
    „Die Aufrechterhaltung des Unternehmerstaates erfordert die Verschärfung öffentlicher Überredung durch diverse Formen von Werbereden und Werbetexten, um die Bürger von der kognitiven Dissonanz abzulenken, die aus dem Unwillen des neoliberalen Staates resultiert, das Gemeinwohl zu schützen.“

  3. Das Thema Demografischer Wandel wird von der Versicherungs- und Finanzwirtschaft instrumentalisiert. Mit Prognosen die dramatisiert und schon als Wahrheit dargestellt werden, soll jede Sozialpolitik, die ihren Namen auch verdient, durch den Zwang der Verhältnisse unmöglich gemacht werden.
    Der Beitrag ist sehr zu begrüßen, weil er relativiert und Lösungen jenseits des neoliberalen mainstreams sucht.
    Leider geht er den Prognose-Progandisten aber auf dem Leim. Schon der Begriff “Alterspyramide” ist mehr als irreführend. Auch die Fixierung auf die Geburtenrate ist nicht Zielführend. Demografie ist eben mehr als Geburtenzahlen und Lebensalterentwicklung. Die letzte Bevölkerungsvorausberechnung liegt jetzt 7 Jahre zurück. Prognose und Wirklichkeit liegen jetzt schon um 1,6 Mio. Bewohner daneben.
    Ich will es hier kurz machen und auf einen Artikel auf http://www.seniorenaufstand.de hinweisen
    http://www.seniorenaufstand.de/wp-content/uploads/2015/03/demografische_entwicklung_150328.pdf
    Dort findet sich auch ein Vortrag mit dem Thema demografische Entwicklung und Generationenvertrag:
    http://www.seniorenaufstand.de/wp-content/uploads/2014/10/demografie_vortrag_vhs_140408.pdf
    Ich würde mich freuen, wenn eine Vertiefung des Themas und eine Verbreiterung der Kenntnisse darum angegangen wird.

    • Hallo Herr Heyse. Vielen dank für ihren Beitrag.

      Sie sprechen ein Thema an, dass in meinem Beitrag tatsächlich eher unterschwellig vermittelt wurde. Vorausberechnungen sind natürlich nicht präzise, sondern nur grobe Berechnungen für den Fall, dass es keine unerwarteten Ereignisse in der Zukunft gibt. Das gilt für die Entwicklung der Geburetenrate, der Lebenserwartung, der Zuwanderung, der Produktivität und der Arbeitslosigkeit. In diesem Zusammanhang jedoch davon zu sprechen, dass ich “auf dem Leim gegangen” bin, kann ich nicht nachvollziehen. Mein Beitrag sollte sich schließlich vor allem auf die kaum noch änderbaren Größen der bereits geborenen Jahrgänge konzentrieren, und damit die einigermaßen greifbaren Faktoren über die zukünftige Entwicklung aufzeigen, um darüber auf die ungefähr berechenbaren finanziellen Einflüsse auf die Sozialsysteme hinzuweisen. Damit sollten die demografischen Schreckgespinste der Medien relativiert werden. Genaues über die Zukunft kann niemand sagen, auch eine enorme Abweichung von aktuellen Prognosen kann, muss aber nicht stattfinden. Die Struktur der zur Zeit lebenden Altersgruppen kann sich vor allem durch Zuwanderung noch ändern, die in den letzten Jahren tatsächlich unerwartet hoch war. Wie lange dieser Trend anhält, lässt sich jedoch ebenfalls nicht sagen. Eine Änderung der Geburtenrate wäre denkbar, aber vor 2040 werden die dann größeren Jahrgänge auch zuerst einmal von der Erwerbstätigen mitgetragen werden müssen, bevor sie langsam ins Erwerbstätigenalter rutschen. Daher wäre eine steigende Geburtenrate vorerst eine zunehmende finanzielle Belastung. Da ich in meinem Beitrag insbesondere auf die Frage eingehen wollte, inwiefern die einigermaßen absehbaren Entwicklungen die finanzielle Lage verändern, habe ich natürlich nicht darauf spekuliert, dass die Geburetenrate steigen und zu einer weiteren Mehrbelastung führen könnte.
      Zu ihrer Links möchte ich noch kurz sagen, dass der im Jahr 2011 durchgeführte Zensus zu einer Bevölkerungszahl gelangt ist, die der Vorausberechnungen sogar größenteils entspricht. Zwar dürfte infolge der Einwanderung die Zahl vom statistischen Bundesamt immer noch etwas falsch geschätzt worden sein, aber sie liegt nicht so weit von der Prognose entfernt, wie es das von ihnen angeführte Arbeitsblatt andeutet.

  4. Nur zum Verständnis: Mit dem Zensus 2011 wurde zum ersten Mal seit der Volkszählung 1987 eine reale (modifizierte) Erhebung durchgeführt. Diese Erhebung machte einen Fehler von ca. +1,5 Mio. deutlich, der sich über den Zeitraum von 24 Jahren aufgebaut hatte.
    Die Bevölkerungsprognose 2009 wurde mit dem Datenmaterial von 2008 durchgeführt. Da war der Fehler also vermutlich in der gleichen Größenordnung vorhanden. Die Vorausberechnung hat an der Stelle nichts korrigiert, wie sollte sie auch. Es bleibt dabei: Die Prognose von 2009 hat bis 2014 einen Bevölkerungsrückgang von 800.000 Einwohnern vorausberechnet. Tatsächlich ist die Bevölkerung aber um 800.000 gewachsen. Der Unterschied beträgt also in nur 6 Jahren 1,6 Mio. Menschen.
    Vermutlich gibt es darunter auch Verschiebungen in der Alterszusammensetzung, weil Zuwanderung in der Regel durch Jüngere erfolgt.
    Aus dem Ganzen folgt nicht die ebenso falsche Prognose, dass sich dieser Trend einfach so fortsetzt. Daraus folgt lediglich, dass solche Prognosen nicht dazu taugen, Sozialpolitik für die nächsten Jahrzehnte abzuleiten und dann auch noch das lächerliche Prädikat “alternativlos” dazu zu setzen.

    • Auch wenn es eine späte Antwort ist, möchte ich zu diesem Vergleich mit der Bevölkerungsentwicklung noch etwas anfügen:
      1. Eine Abweichung in der Bevölkerungsprognose über einen Zeitraum von 6 Jahren mag im Vergleich zu demografischen Prognosen kurz wirken, doch 6 Jahre sind immer noch ein langer Zeitraum, bei dem man gerade im Hinblick auf die Gesamtbevölkerungsentwicklung keine verlässliche Prognose geben kann. Das haben unter anderem die Flüchtlingskrise und die enorme Einwanderung als Folge der Arbeitnehmerfreizügigkeit ergeben. Die Aussage “Wenn also schon in diesem Zeitraum eine Abweichung erfolgt…” kann man meiner Ansicht nach also nur sehr bedingt anwenden.
      2. Bei der von Ihnen genannten Studie geht es um eine Gesamtbevölkerungsprognose, die aufgrund von Ein- und Auswanderungen sowie Geburtenänderungen schwieriger zu schätzen ist. Beim demografischen Wandel reden wie allerdings über Größen-Relationen von Bevölkerungsgruppen innerhalb der Gesamt-Bevölkerung zueinander, die mit der Gesamtbevölkerung eher weniger zu tun haben. Diese Relationen haben sich in den Jahren 1990 bis 2013 nicht signifikant verändert. Das zeigen die tatsächlich gemessenen Daten, die in dieser dynamischen Bevölkerungspyramide für die Jahre 1950 bis 2013 eingetragen wurden. Es ist meiner Ansicht nach also mit größter Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es einen starken Anstieg der notwendigen Rentenausgaben geben wird, ohne dass es automatisch mehr Arbeitnehmer gibt, die diese Kosten tragen. Die genaue Höhe ist sicherlich nicht kalkulierbar, aber grob kann man das Niveau einschätzen. Die Ungenauigkeit bestimmt dann beispielsweise, ob wir ca. 3, 5 oder 7 Prozentpunkte Beitragserhöhung für die Rentenkassen benötigen.
      Eine hohe Einwanderung erhöht zwar vor allem die Größe jüngerer Generationen, aber auch sie kann die Relationen nicht stark ändern. Eine massive Einwanderung wie im Zuge der Flüchtlingskrise kommt nur selten vor und es ist mglw. davon auszugehen, dass ein Teil der Personen in den nächsten Jahren wieder auswandert. Über einen langfristigen Zeitraum kann man nicht von anhaletenden Extremen in der Einwanderung ausgehen.

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