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Griechenland und die Eurogruppe – Alternativlosigkeit ist das höchste Gebot

In der Auseinandersetzung mit Griechenland soll offenbar jedweder Hauch von Alternative gleich im Keim erstickt werden. Wie die BBC berichtet und sich auf Finanzminister Varoufakis bezieht, hat es in den Verhandlungen zwischen Griechenland und der übrigen Eurogruppe am Montag einen Entwurf zur Verlängerung des laufenden Kreditprogramms gegeben, dem Varoufakis zugestimmt hätte. Der Entwurf sei von EU-Wirtschaftskommissar Moscovici ausgehändigt worden und wurde von dem britischen Journalisten Paul Mason u.a. hier zugänglich gemacht. Dieser Entwurf würde das Kernanliegen der griechischen Regierung berücksichtigen, die Finanzierung für die nächsten Monate sicherzustellen, ohne Griechenland dabei den Spielraum für die eigenen Reformpläne zu nehmen, so dass die griechische Regierung auf diese Weise genügend Zeit für die Aufstellung eines Reformprogramms hätte, das das Land dazu in die Lage versetzen könnte, die bestehenden Verbindlichkeiten nicht nur abzahlen zu müssen, sondern diese auch tatsächlich abzahlen zu können. Wie Varoufakis berichtet, wurde dieser Entwurf jedoch kurz vor Beginn der Eurogruppensitzung wieder zurückgezogen und durch eine andere Version ersetzt.

Ein Vergleich beider Versionen wird hier vorgenommen. Der Unterschied zwischen ihnen besteht darin, dass in beiden Versionen Griechenland sich zwar fest dazu bekennt, den finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern nachzukommen, Reformen zur Bekämpfung von Korruption und Steuerflucht, und zur Steigerung der Effizienz der öffentlichen Verwaltung durchzuführen, und währenddessen eng mit den internationalen Partnern zusammenzuarbeiten, in der nicht-zustimmungsfähigen Version jedoch müsste die griechische Regierung das alte Memorandumsprogramm einfach fortführen, wobei sie nicht nur von “unilateralen Handlungen” absehen müsste, sondern auch auf bestimmte – wie es heißt – “Reformparameter” verpflichtet wäre, auf die explizit u.a. mit den Begriffen “Privatisierung”, “Arbeitsmarkt” und “Renten” referiert wird. Mit anderen Worten, die bisherige Kürzungspolitik müsste weiter umgesetzt werden und die griechische Regierung müsste ihrer seit Jahren durch Armut, Massenarbeitslosigkeit und humanitäre Krise geplagten Bevölkerung gegenüber ihr Wahlversprechen brechen.

Wer hat die neue, nicht-zustimmungsfähige Version zu verantworten? Darüber kann man Vermutungen anstellen. Wer es jedoch auch sein mag, er scheint offenbar bereit zu sein, die gesamte Eurozone in ein Experiment zu führen, das da lautet: Griechenland steigt aus dem Euro aus, hat eine weitere schwere Wirtschaftskrise vor sich, dafür jedoch der bisherigen anti-demokratischen Demütigung ein Ende gemacht. Die Menschen in der Eurozone dürften sich dann überlegen, welche Länder als nächstes in die Pleite geschickt werden, weil ihre Bevölkerungen den in voller deutscher Orthodoxie verordneten Austeritätskurs nicht mehr ertragen wollen. Erinnert sei daran, dass Griechenland im gesamten Eurokrisendebakel lediglich “der Kanarienvogel in der Kohlengrube” ist, der als erstes stirbt. Zudem sei daran erinnert, dass die Bevölkerung in Spanien sehr genau beobachten dürfte, wie gnadenlos mit Bevölkerungen durch die Gläubigerstaaten umgegangen wird, und dass Frau Le Pen in Frankreich bereits ihren Präsidentschaftschancen 2017 entgegenblickt.

Doch ich stimme anderen Kommentatoren des Geschehens zu, dass es bei der Haltung der Eurogruppeneliten nicht allein darum gehen dürfte, dass “Vereinbarungen Vereinbarungen sind” – an noch viel grundlegendere Vereinbarungen wie die Europäische Sozialcharta oder verbindliche ArbeitnehmerInnenrechte hat sich die Troika bei der Durchsetzung der Programmvereinbarungen schließlich auch nicht gehalten -, sondern dass es darum geht, eine Situation zu verhindern, in der hinter die Totalität der propagierten Alternativlosigkeit geblickt werden könnte. Wenn die Bevölkerungen in Europa durch die Eröffnung neuer politischer und ökonomischer Wege erstmals direkt beobachten könnten, dass der Neoliberalismus kein Urheberrecht an dem Begriff “Reform” hält, dürfte das empirisch armselige Kartenhaus allmählich zusammenfallen.

So wundert es dann auch nicht, wenn Finanzminister Schäuble versucht, das Anliegen der griechischen Regierung, nach neuen Wegen jenseits der verordneten Orthodoxie Ausschau zu halten, als reine Lausbubenlaune darzustellen. Tagesschau.de verweist hier auf eine Pressekonferenz von Herrn Schäuble, auf der er seinen Sarkasmus nach dem Eurogruppentreffen “nett verpackt”, wie es heißt:

“Unglücklicherweise hatten wir bisher nicht so kluge Leute in der Eurogruppe, die uns auf den besseren Weg geführt hatten. Deswegen haben wir diese Dinge halt so gemacht, nach bestem Wissen, dem IWF ist bisher auch nichts Klügeres eingefallen, aber da sind ja auch nicht so viel erfahrene Leute drin, und in der EZB und so… na gut, wie auch immer.”

(Wolfgang Schäuble, Pressekonferenz vom 17.2.2015, Video auf tagesschau.de ab min. 1:17)

Welch tragikomisch unbeabsichtigte Wahrheit sich hinter diesem >Sarkasmus< verbirgt, mag tagesschau.de den NutzerInnen leider nicht mitteilen. Schaut man sich die Berichte an, die zu den mit Griechenland vereinbarten Kürzungsmaßnahmen erstellt wurden, signalisieren diese, wie das “beste Wissen” aussah, das EU-Kommission, EZB und IWF bisher in Griechenland haben walten lassen.

Immer wieder wurden blauäugige Prognosen getätigt, die davon ausgingen, dass nach einem mehr oder minder kleinen Einbruch im Zuge der massiven Kürzungen – pardon “Einsparungen” – rasch wieder die Konjunktur Griechenlands anspringen würde. Immer wieder mussten die sagenhaft falschen Prognosen nach unten korrigiert werden, um die griechische Bevölkerung auf das nächste Jahr zu vertrösten. Schauen wir uns hierzu einmal an, welche Erwartungen in unterschiedlichen Berichten, die von der Europäischen Kommission herausgegeben wurden, mit den in Griechenland umgesetzten Programmen verbunden waren. Hierzu werden nachfolgend ökonomische Analysen aus dem Mai 20101, Juli 20112 und März 20123 dargestellt und mit den hinterher tatsächlich beobachteten Werten verglichen.

Für das reale Wirtschaftswachstum für die Jahre 2012 und 2013 robbten sich die Prognosen in den aufeinander folgenden Analysen wie folgt an die tatsächlich beobachtbare Welt heran:

BIP-Prog-Griechenland

Hatte man etwa in der Analyse aus dem Juli 2011 für das folgende Jahr noch ein leichtes Wirtschaftswachstum erwartet, stellte sich die tatsächliche Wirtschaftsentwicklung schließlich als dramatischer Einbruch von mehr als 6% real dar. Auch 2013 kam es wieder zu einem dramatischen Einbruch, obwohl man in den Analysen bis zum März 2012 allenfalls mit einer Stagnation rechnete.

Für die Entwicklung bei der Massenarbeitslosigkeit stellt sich folgende Diskrepanz zwischen Prognose und Realität dar:

Arbeitsl-Prog-Griechenland

Und auch das Abrutschen der griechischen Ökonomie in die gefährliche Deflation wurde lange Zeit deutlich unterschätzt:

HVPI-Prog-Griechenland

Auch damalige Pressemitteilungen erinnern daran, wie beeindruckend die Troika mit ihren Einschätzungen beim Experiment “Griechenland” daneben griff:

“Regarding the outlook, the economy is expected to begin turning around in 2011. Wage and price inflation is beginning to moderate, setting the stage for improvements in competitiveness.”

(Statement by the EC, ECB, and IMF on the Second Review Mission to Greece, Pressemitteilung vom 23.11.2010)

“We continue to expect the economy to stabilize late in 2011.”

(Statement by the EC, ECB, and IMF on the Third Review Mission to Greece, Pressemitteilung vom 11.2.2011)

“We expect the economy to stabilize at the turn of the year.”

(Statement by the European Commission, the ECB and IMF on the Fourth Review Mission to Greece, Pressemitteilung vom 3.6.2011)

“Regarding the outlook, the recession will be deeper than was anticipated in June and a recovery is now expected only from 2013 onwards.”

(Statement by the European Commission, the ECB and IMF on the Fifth Review Mission to Greece, Pressemitteilung vom 11.10.2011)

Dass man in Anbetracht solch einer Chronik des eigenen Versagens einer neuen demokratisch gewählten Regierung mit international renommierten Ökonomen und ersten sehr ernsthaften Reformbeschlüssen keine Alternative zum Bisherigen eröffnen will und weiterhin auf das Erlösungsversprechen nach dem Aderlass zu verweisen gedenkt, grenzt tatsächlich an Zynismus, und zwar an einen sehr gefährlichen, der nicht allein mit einem ganzen Wirtschaftsraum zu spielen scheint, sondern ebenfalls ganze Bevölkerungen ihrer Würde berauben will, indem er ihnen mitteilt: “Wir gewähren euch keinen Zentimeter Alternative und lassen euch einfach scheitern.” Unnötig zu erwähnen, dass auch diejenigen, die sich nicht in erster Linie als solidarische Mitmenschen sehen mögen, sondern als “deutsche Steuerzahler”, mit diesen Krisenverwaltern in Berlin und Brüssel nicht gut repräsentiert sind (auch wenn die Massenmedien hierzulande wie gewohnt um eine deutlich andere Erzählung bemüht sind).

Siehe außerdem:

“Rede des Ministerpräsidenten Griechenlands, Alexis Tsipras, vor der parlamentarischen Fraktion von SYRIZA am 17.02.2015” (NDS, 18.2.)

“Yanis Varoufakis: Jetzt ist nicht die Zeit für Spiele in Europa” (Artikel in der New York Times vom 16.2., übersetzt von Sabine Tober auf den NDS)

“Griechenland war auf gutem Weg? – Der Bundesfinanzminister verweigert sich der Realität und Griechenland steht am Scheideweg” (Flassbeck Economics, 18.2.)

Zum Anlaufen gegen die Alternativlosigkeit in Spanien siehe das Interview von DemocracyNow! mit Pablo Iglesias (Podemos):

“The Next Syriza? As Greece Rejects Austerity, Meet the Activist Who Could Become Spain’s New PM” (DemocracyNow!, 17.2.2015)

 

  1. Quelle: The Economic Adjustment Programme for Greece, Occasional Papers 61, May 2010 []
  2. Quelle: The Economic Adjustment Programme for Greece – Fourth Review, Occasional Papers 82, July 2011 []
  3. Quelle: The Second Economic Adjustment Programme for Greece, Occasional Papers 94, March 2012 []

Jascha Jaworski

Ein Kommentar

  1. Ein sehr guter Artikel!! Danke!!
    Man muss daran anschließend aber auch die Frage stellen, wem diese absurde Politik der schwäbischen Hausfrauen und schwarzen Nullen eigentlich nützt?
    Wäre schön, wenn du das mal ein wenig beleuchten könntest.
    Ich selbst habe da so meine Vermutungen …
    LG

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