Diesen Artikel drucken Diesen Artikel drucken
1

Zum 70. Jahrestag: Geschichte setzen, anstatt aus ihr zu lernen

German Foreign Policy dokumentiert die Instrumentalisierungsversuche rund um den 70. Jahrestag der Befreiung vom Nazi-Regime, die auch nicht vor einer Geschichtsverdrehung zurückschrecken, um das Feindbild Russland in den Köpfen vieler Menschen in Europa nicht abklingen zu lassen:

“Zweckgebundenes Gedenken” (German Foreign Policy, 8.5.2015)

Das Ausmaß, in dem stets die Hälfte einer Geschichte erzählt werden kann, um dann umso eifriger die darauf aufbauenden Schlussfolgerungen zur unhinterfragbaren Wahrheit zu erklären, ist doch immer wieder erstaunlich. Gefährlich wird es spätestens dann, wenn diejenigen, die für diese eskalationsmotivierte Wahrheit das Handbuch schreiben, am Ende durch die reaktiven Effekte beim Gegenüber selbst an die gewünschte Version der Dinge glauben werden.

Wie solch ein Handbuch aussehen kann, das hat erst jüngst eine aufschlussreiche Dokumentation von Dirk Pohlmann auf Arte offenbar weitgehend konformitätsfrei dargelegt. Es geht um nichts Geringeres als die vehemente Beförderung des Zusammenbruchs der Sowjetunion durch Methoden der psychologischen Kriegsführung, die dabei auch gegen die Bevölkerung Schwedens und die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Olof Palme eingesetzt wurden:

“Täuschung – Die Methode Reagan” (Arte, Erstausstrahlung 12.5.2015)

Die Dokumentation legt in weniger als einer Stunde dar, wie das, was der Journalist Ron Suskind viele Jahre später im New York Times Magazine durch ein Zitat eines Beraters von George W. Bush hat deutlich werden lassen, eben nicht erst seit der Regierung Bush II als gültig betrachtet werden darf:

“Im Sommer 2002, nachdem ich einen Artikel im Esquire über Bushs früheren Kommunikationsleiter, Karen Hughes, geschrieben hatte, der dem Weißen Haus missfiel, hatte ich ein Treffen mit einem Berater von Bush. […] Der Berater sagte, dass Leute wie ich das wären, >>was wir die realitätsbasierte Gemeinde nennen,<< welche er definierte als jene, die >>glauben, dass die Lösungen hervortreten durch das urteilsbasierte Studium der wahrnehmbaren Realität.<< Ich nickte und murmelte etwas von Prinzipien der Aufklärung und Empirie. Er schnitt mir das Wort ab. >>Das ist nicht die Art und Weise, wie die Welt heute noch funktioniert,<< fuhr er fort. >>Wir sind jetzt ein Imperium, und wenn wir handeln, erschaffen wir unsere eigene Realität. Und während Sie die Realität studieren – urteilsbasiert, wie auch immer Sie wollen – werden wir erneut handeln, und neue Realitäten schaffen, die Sie erneut studieren können, und das ist die Weise, wie sich die Dinge herausnehmen. Wir sind die Darsteller der Geschichte… und Ihr, alle von Euch, werdet damit zurückgelassen sein, das zu studieren, was wir tun.<<”1

(Ron Suskind, Faith, Certainty and the Presidency of George W. Bush, The New York Times Magazine, 17.10.2004)

 

  1. Übers. Maskenfall, Original: “In the summer of 2002, after I had written an article in Esquire that the White House didn’t like about Bush’s former communications director, Karen Hughes, I had a meeting with a senior adviser to Bush. […] The aide said that guys like me were >>in what we call the reality-based community,<< which he defined as people who >>believe that solutions emerge from your judicious study of discernible reality.<< I nodded and murmured something about enlightenment principles and empiricism. He cut me off. >>That’s not the way the world really works anymore,<< he continued. >>We’re an empire now, and when we act, we create our own reality. And while you’re studying that reality — judiciously, as you will — we’ll act again, creating other new realities, which you can study too, and that’s how things will sort out. We’re history’s actors . . . and you, all of you, will be left to just study what we do.<<“ []

Jascha Jaworski

Ein Kommentar

  1. Fakten schaffen, ist seit eh und je die “Wahrheitsmethode” von Herrschen-den.Das “fait-accompli” kann nicht mehr aus der Welt geschaffen werden: siehe die Konstantinische Schenkung, die auf Lug und Trug beruht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.