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Sackgasse “einzelwirtschaftliche Perspektive”

Zur Auseinandersetzung Flassbeck (Die deutschen Löhne – Konfusion von links bis rechts) und Thorsten Schulten, der sich im Forum Gewerkschaften der Zeitschrift Sozialismus zur Rolle der Lohnentwicklung beim deutschen Exportboom geäußert hatte. (Welche Rolle spielt die Lohnentwicklung für die Erfolge der deutschen Exportindustrie?, Replik auf Heiner Flassbeck)

Lieber Herr Schulten!
Ich schätze ihre Untersuchungen zur Entwicklungen der Tarifsysteme in Europa. Vielen Dank dafür, Sie haben auf wichtige Entwicklungen hingewiesen, die viel zu wenig zur Kenntnis genommen werden.

In Bezug auf die o.g. Auseinandersetzung zur Rolle der Lohnentwicklung beim deutschen Exportboom soll hier noch einmal daran erinnert werden, dass es nicht darum geht, generell die Kaufentscheidung für ein deutsches Produkt abzuleiten, sondern doch lediglich die Änderungen seit Einführung des Euro: Es geht nicht in erster Linie um Wettbewerbsfähigkeit bzw. Exportstärke an sich, sondern um die Entwicklung / den Zuwachs der Wettbewerbsfähigkeit bzw. Exportstärke. Was wir wissen, ist, dass es relativ starke Lohnzurückhaltung in allen Unternehmenssparten1 gab (später mehr). Was wir in einer Marktwirtschaft kaum begründen können, ist ein spontaner Qualitätssprung deutscher Güter ohne Investitionsschub oder Bildungsoffensive.
Natürlich hat die Kaufentscheidung für ein Gut etwas mit seiner Qualität zu tun: Wenn deutsche Unternehmen Schrott produzieren würden, dann wäre auch der Preis des Gutes egal. Genausowenig würde jemand bestreiten, dass deutsche Unternehmen mit anderen Unternehmen um den Absatz eines Gutes preislich konkurrieren. Wenn die anderen Unternehmen in der Währungsunion nun preislich an Boden gegenüber deutschen Unternehmen verlieren, so bedeutet dies nicht nur, dass Euroländer Marktanteile in der Eurozone verlieren und die inländischen Anbieter der jeweiligen Länder vernachlässigt werden, weil auch dort vermehrt zu deutschen Exportgütern gegriffen wird (ohne aufgrund des Euro über Möglichkeiten der Währungsanpassung zu verfügen), sondern auch die deutsche Volkswirtschaft den Euroländern Weltmarktanteile abnimmt. Bei einer schwachen preislichen Entwicklung von Gütern gegenüber den Euroländern würde man also sowohl einen deutschen Exportzuwachs in die Eurozone, aber – bei konstanten Währungsverhältnissen – auch in die Welt erwarten.

Wenn Sie die Behauptung aufstellen, der deutsche Exporterfolg hätte nur wenig mit seiner Lohnzurückhaltung zu tun, müssten Sie Flassbecks Ausführungen (wie geschickt oder ungeschickt er diese vorbringen mag, ist dabei egal) eine plausible, empirisch unterlegte Erklärung entgegensetzen. Folgende Aussagen wären dabei relevant:

1. Die Entwicklung der durchschnittlichen nominalen Lohnstückkosten bestimmen die gesamtwirtschaftliche Preisentwicklung (BIP-Deflator).
Dies haben Sie nicht überzeugend widerlegt, es muss doch aber einleuchten, dass je größer der Exportanteil ist (zur Zeit 46% des BIPs laut Destatis), bzw. die Lohnsteigerungen im Exportsektor, desto stärker wird diese Entwicklung von den Durchschnittswerten von Deflator und Lohnstückkosten repräsentiert. Man sollte also davon ausgehen, dass dominante Entwicklungen innerhalb der Volkswirtschaft hier soweit abgebildet sind, dass bereits die Entwicklung des BIP-Deflators tatsächlich ein passabler Indikator für die Produktionskostenentwicklung ist.
Es lässt sich zudem die Preisentwicklung zumindest auf Jahresbasis nicht perfekt auf die Entwicklung der nom. Lohnstückkosten zurückführen, wie Sie dies in ihrem Beitrag (dort: Abbildung 3 und Text) voraussetzen.

(Grafik: Heiner Flassbeck, www.flassbeck-economics.de)

Besonders aber im mittelfristigen Vergleich der Euroländer (Zeitraum 1999-2007) ist der Zusammenhang eindrucksvoll:
Deflator-Lohnstückkosten

2. Die Preisentwicklung (BIP-Deflator) ist entscheidend für den Exportzuwachs.
Sie setzen sich in diesem Zusammenhang mit der Entwicklung von Exportpreisen, die ihrer Meinung nach aussagekräftiger für die Wettbewerbsfähigkeit sind, auseinander.
Wie sie aber  selbst belegen, stimmt auch der Zuwachs der Exportpreise von 2000-2013 (12,4% laut ihrer Abbildung 3) mit dem der durchschnittlichen (gesamtwirtschaftlichen) nom. Lohnstückkosten in seinen Endpunkten überein. Trotz höherer Lohnsteigerungen im Exportsektor (bzw. verarbeitendem Gewerbe) haben sich die Exportpreise also noch schwächer entwickelt als die gesamtwirtschaftlichen Preise (BIP-Deflator; 2000-2013: 16,8% laut AMECO). Laut EZB-Ziel wären übrigens 27,7% gesamtwirtschaftliche Preisentwicklung einzuhalten gewesen. Warum sollten die Preise der Exportgüter bei einer preisunabhängigen hohen Beliebtheit und überragender Qualität so gering bleiben?
Weiter schreiben Sie in ihrer Replik ohne dies weiter zu quantisieren, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit nicht durch die Nutzung günstiger Dienstleistungsbeschäftigter erklären lässt. Evtl. ist Ihnen die intensive Nutzung des bzgl. Wertschöpfung und Beschäftigung dominanten Dienstleistungsektors durch das produzierende Gewerbe (30,2% aller Dienstleistungen) nicht in ihrem Ausmaß bekannt. Eine einzelwirtschaftliche Betrachtung der nom. Lohnstückkosten des verarbeitenden Gewerbes wäre jedoch zu kurz gegriffen.

Nun ließe sich einwenden, dass es für den Preisindex industrieller Erzeugnisse sehr wohl einen vergleichbaren Kostenindex gibt, nämlich den Index der Lohnstückkosten im Verarbeitenden Gewerbe. Und tatsächlich wird von interessierter Seite immer wieder genau dieser Index verwendet, um zu belegen, wie teuer Deutschlands Industrie produziere, wie schwer es daher deutsche Exportunternehmen hätten, im internationalen Wettbewerb zu bestehen, und wie wenig Spielraum nach oben es aus diesem Grund bei Lohnverhandlungen gäbe (iw Trends 4/2012). Doch dieser Einwand ist falsch. Da in die Kosten der Produktion von exportfähigen Industrieerzeugnissen nicht nur die Lohnkosten des Verarbeitenden Gewerbes eingehen sondern über die Vorleistungen auch die Lohnkosten anderer Wirtschaftszweige, spiegeln die Lohnstückkosten des Verarbeitenden Gewerbes nicht annähernd die tatsächliche Kostensituation der Exporteure wider. An dieser Stelle sind die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten ganz eindeutig der einzig sinnvolle Maßstab. Sich auf internationale Vergleiche von industriellen Lohnstückkosten zu verlegen, bedeutet, die Industrieunternehmen in Deutschland systematisch arm zu rechnen.
(Welche Preissteigerungsrate ist wirtschaftspolitisch relevant? – Friederike Spiecker)

Zur Vollständigkeit haben wir die Entwicklung der Lohnstückkosten des verarbeitenden Gewerbes im  EWU-Vergleich in der Vergangenheit aufgegriffen. Wie folgende Abbildung zeigt, sind die deutschen Lohnstückkosten des verarbeitenden Gewerbes ebenfalls erheblich hinter den französischen zurückgeblieben.ulc-manufacturing
Zudem quantisieren Sie offenbar auch nicht “den Lohnboom” im Produktionsgewerbe, das deutet für mich daraufhin, dass Ihnen eventuell das Ausmaß der deutschen Lohnzurückhaltung (gesamtwirtschaftliche Betrachtung ab 1995 im Agenda-Fokus und 1970-2013) nicht in seinem Umfang deutlich geworden sein könnte. Folgende Abbildung zeigt, dass es auch im Bereich der Tariflöhne – auch innerhalb des Poduktivitätszugpferdes Produktionsgewerbe – zur Lohnzurückhaltung bzw. deutlichen Abweichung der Reallöhne von der gesamtwirtschaftlichen Produktivität gekommen ist.

lohn10

Sie behaupten, es würde der enge Zusammenhang zwischen Löhnen und Exportstärke kaum hinterfragt. Das mag im detallierten wissenschaftlichen Kontext2 so sein, in der öffentlichen Mainstream-Auseinandersetzung reduziert sich die Erklärung meiner Meinung nach häufig auf eine einfache Sichtweise: Deutschland ist erfolgreich (ohne dies zu spezifizieren), weil es seine Hausaufgaben (als negative Konsequenz wird bestenfalls der Niedriglohnsektor genannt, allgemeine Lohnzurückhaltung wird in der Regel verschwiegen) gemacht hat, bietet höchste Produktqualität und konkurrenzlose innovative Güter, weil die Deutschen fleißige Tüftler sind. Im Gegensatz dazu gibt es dann die – häufig zumindest latent als faul portraitierten – Südeuropäer oder Franzosen, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben und deswegen zur Erfolglosigkeit verdammt sind. Letztlich wird Ihr Beitrag, auch wenn dieser weit differenzierter ist – in diesem unsachlichen Diskurs – auf die Aussage reduziert werden “es sind nicht die Löhne für den Exportzuwachs verantwortlich, sondern die tolle Qualität deutscher Produkte, das sagen jetzt sogar die Gewerkschaften” und deshalb läuft Ihr Beitrag Gefahr, von anderen aus chauvinistischem Hintergrund heraus missverstanden oder instrumentalisiert zu werden. Es mag zudem die Erkenntnis unterdrücken, dass ein “Wettbewerb der Nationen” ein destruktiver Irrweg ist, der Völker gegeneinander aufbringt, Solidarität zwischen Arbeitnehmern verhindert und wirksame Tarifsysteme bedroht. Die einzelwirtschaftliche Betrachtung des verarbeitenden Gewerbes und das Qualitätsdenken könnte außerdem unbeabsichtigt geeignet sein, isolationistische Tendenzen z.B. der IG Metall zu verstärken und das gesamtgesellschaftliche Zusammenwachsen der Arbeitnehmer und die gerechte Aufteilung der Früchte von Produktivitätssteigerungen auf alle Branchen zu verhindern. Die teilweise in den Gewerkschaftsspitzen von DGB und IG Metall vorhandene Befürwortung des geplanten Tarifeinheitsgesetzes lieferte Anzeichen eines Solidaritätsproblems3.

  1. auch im Produktionsgewerbe, wenn auch etwas schwächer []
  2. Ob sich die EU-Kommission, die sich mittlerweile als häßlicher Zwilling des IWF entpuppt hat, zudem als seriöser Beleg für die Qualitäts-Hypothese eignet, mag man bezweifeln []
  3. Die Bestrebungen der Gewerkschaftsspitzen von IG Bau, IG Metall und IG BCE und EVG eine strategische Partnerschaft mit Arbeitgeberverbänden zu formieren, deutet zudem womöglich eine gewisse Geringschätzung des Dienstleistungssektors (und ver.di) an []

Johannes Stremme

5 Kommentare

  1. Danke für diesen Beitrag!!
    Und ich frage mich auch immer, warum wir überhaupt die Lohnmoderation gemacht haben, wenn unsere Produkte so toll sind, dass Preise keine Rolle spielen? Dann hätte man sich das doch “sparen” können?
    LG Traumschau

    • Wenn man sich die Ameco-Daten einmal genauer ansieht, fragt man sich auch, was das ganze Theater um Lohnnebenkosten und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit überhaupt sollte. Selbst in den Jahren zwischen 1991 und 1998, in denen Kohl die Sozialkassen massiv mit den Kosten der Einheit belastet hatte, lagen die realen Lohnstückkosten der Gesamtwirtschaft in Österreich höher als in Deutschland. Österreich hatte – bei ansonsten ähnlicher Wirtschaftsstruktur- weder eine Wiedervereinigung zu bezahlen noch einen Strukturwandel zu durchlaufen und war dennoch “weniger wettbewerbsfähig”. Da fragt man sich doch, warum in Österreich damals fast Vollbeschäftigung herrschte. In der Schweiz waren die realen Lohnstückkosten niedriger in diesem Zeitraum niedriger als in D. Das lag aber am sehr hohen Produktivitätsniveau und wohl kaum an niedrigen Löhnen. Aber schon 1999 sanken die deutschen Lohnstückkosten unter das Schweizer Niveau, um seitdem dauerhaft dort zu bleiben – der Lohnzurückhaltung sei “dank”.

  2. Deutsche Arbeitnehmer können sich zu wenig deutsche aber auch ausländische Güter leisten.

    Die niedrigen Lohnzuwächse begründen einen unzureichende Gesamtnachfrage und eine unzureichende konjunkturelle Ausschöpfung (Nettoinvestitionen) des möglichen.

    Ich schlage vor , nachträglich die Änderungen der Nettogeldvermögen (Zeitraum 2000 – 2014) auf Personenebene durch die Finanzämter erfassen zu lassen. Und im Internet zu veröffentlichen.

    Dann wissen wir genau wem die Lohnzurückhaltung im Aufbau weiteren Nettogeldvermögens genutzt hat.

    Die Abschaffung der Vermögenssteuer ist geradezu Voraussetzung um mit Lohndumping Nettogeldvermögenkasse zu machen, ohne dass die Wähler nicht mehr CDU/CSU oder SPD wählen!

  3. Eine gute Erwiederung auf Thorsten Schulten.
    Das klingt absurd: in jeder “kristischen” Situation werden die Lohnkosten als wichtigste Größe zur Beseitigung von Wettbewerbsschwächen (im betrieblichen und internationalem Rahmen) ausgemacht. Und wenn dann die Lohnkosten im internationelen Rahmen gesenkt wurden (“Bündnis für Arbeit”; Pforzheimer Abkommen der IG Metall; Agenda 2010; …), spielen sie urplötzlich eine untergeordnete Rolle. Stattdessen werden Qualitäts- und Innovationsvorsprünge für die Wettbewerbserfolge verantwortlich gemacht. Empirisch belegt wird das nicht. Es scheint mehr Ideologie als Wissenschaftliche Erkenntnis im Spiel zu sein – womöglich mit der Absicht, die deutsche Exportweltmeisterschaftsarbeitsplätze zu verteidigen.
    Das wäre ein gefährlicher Weg, weil er, wie von Johnannes richtig herausgestellt, schnell chauvinistischen Selbstüberschätzungen Vorschub leisten könnte. Das Gegenteil von internationaler gewerkschaftlicher Solidarität kann sich daraus entwickeln.
    Ich finde, dass sich die Gewerkschaften (wieder) sehr viel stärker mit der Bedeutung ihrer Lohnpolitik beschäftigen müssen – als wichtigste Größe zur ökonomischen (und ökologischen) Entwicklung im eigenen Land und als Fundament für die Beziehungen der Arbeiterklasse im internationaeln Rahmen.

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