Man braucht keine Statistiken bemühen, um zu erkennen, dass sich das Ausmaß gewalthafter Auseinandersetzungen weltweit im Aufstieg befindet. Wer doch Statistiken dazu wünscht, kann sich beispielhaft das Konfliktbarometer des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung anschauen. Bei den so kategorisierten “Konflikten mittlerer Intensität” – hierzu können Konflikte zählen, die bis zu 20000 Flüchtlinge und Vertriebene hervorbringen – lässt sich ab den 1990er Jahren ein sprunghafter Anstieg von 50 (1990) auf rund 177 (2014) weltweit beobachten. Derartige Auseinandersetzungen sind auch das Resultat einer Wüterei, die von der sog. westlichen Wertegemeinschaft befördert wird, so wie wir es im Verlauf der 2000er Jahre etwa beim Afghanistan-Krieg gesehen haben, der eines der ärmsten Länder der Welt mit Bomben überzog und tausende unschuldiger Menschen tötete, was damals als geradezu notwendige Reaktion auf die tausenden unschuldigen Opfer des Terroranschlags vom 11.9.2001 propagiert wurde. Man hat es gesehen beim Angriffskrieg gegen den Irak 2003, in dessen Folge hunderttausende Menschen getötet wurden1 und der Boden für die Terrorkämpfer des IS herbeigeschossen und -gebombt wurde. Man hat es gesehen beim Libyen-Krieg, der ein Land ins Chaos geführt hat, in dem rivalisierende und extremisierte Gruppen um Ressourcen kämpfen und massenhaft töten.
Kriege sind keine Naturereignisse, hinter ihnen steht eine Eskalationsdynamik, bei der ethnische Konflikte, Ausbeutung und Feindbilder eine wichtige Rolle spielen. Hinter ihnen stehen zudem handfeste Interessen, die die nötige Propaganda organisieren, um gegenüber Bevölkerungen, die sich effektiv gegen diese verheerendsten Formen von Zivilisationsbruch auflehnen könnten, Realität so zu filtern, dass sie die anderen gewähren lassen. Um die Dynamik hinter diesen Ereignissen besser zu erkennen, kann man Überlegungen auch zu den psychischen Voraussetzungen unterschiedlicher beteiligter und betroffener Gruppen anstellen. Hier hatte kürzlich die Ärztin, Psychoanalytikerin und jahrzehntelange Aktivistin bei IPPNW, Mechthild Klingenburg-Vogel, einen Vortrag bei attac Kiel gehalten, der durch seine psychoanalytische Perspektive einen weiteren Erkenntniszugang zu den weltweiten kriegerischen Auseinandersetzungen anbietet und auf diese Weise auch Anregungen dazu geben kann, an welchen Punkten man sich selbst derartigen Entwicklungen entgegenstellen kann:
“Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg?” (Vortrag von Dr. Mechthild Klingenburg-Vogel vom 28.5. bei attac Kiel)
- siehe “Mortality after the 2003 invasion of Iraq: a cross-sectional cluster sample survey”, Burnham, Lafta, Doocy & Roberts, 2006 [↩]
Leider hat es sich herausgestellt, dass die Opfer des Irak-Krieges wohl die Zahl von 1 Million übersteigt. Die im Artikel zitierte Studie, die in ähnlicher Form in “the lancet” erschien enthielt kein Opfer über 2006 hinaus. Dies geht aus dem Report des IPPNW “Casualty Figures after 10 Years of the “War on Terror” – Iraq, Afghanistan, Pakistan”