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No 637

“Unabhängig davon gehen Finanzminister Christian Lindner und mit ihm die Mehrheit der Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP, die nun wieder auf die Einhaltung der Schuldenbremse pochen, offenkundig von der falschen Vorstellung aus, dass das Budgetergebnis allein – oder jedenfalls primär – vom „Sparwillen“ der Regierung bestimmt wird. Tatsächlich aber ist die Budgetposition nicht diskretionär, da sie von der Wirtschaftsentwicklung und den anderen sektoralen Finanzierungssalden abhängt.
Die Abhängigkeit von der Wirtschaftsentwicklung zeigt sich daran, dass die politischen Entscheidungsträger zwar einen Teil der Ausgaben festlegen, die Steuersätze bestimmen und einige Vorhersagen zu den Gesamtausgaben und Steuereinnahmen am Jahresende machen können, aber keine Kontrolle über die Haushaltsdynamik während des Jahres besitzen. Wie die private Gesamtersparnis ist auch der Haushaltssaldo (Überschuss, ausgeglichen oder Defizit) ein Residualergebnis des Wirtschaftsprozesses. Jeder Versuch der Regierung, den Saldo proaktiv zu beeinflussen, hat wenig Erfolgsaussichten.
Wenn aber der Budgetsaldo gar nicht unter der Kontrolle der politischen Entscheidungsträger steht, sondern sich vielmehr weitgehend an die Erfordernisse des Wirtschaftssystems anpasst, lässt er sich nicht einfach vorab als Ziel festlegen. Das heißt, die Verwendung willkürlicher und rigider fiskalischer Regeln (also irgendwelcher Defizitobergrenzen) ist unsinnig. Reduziert der Bund etwa in einem wirtschaftlichen Abschwung seine Ausgaben – wie es der Haushaltsentwurf von Finanzminister Lindner für 2024 vorsieht –, um die Überschreitung irgendeiner vorher festgelegten Budgetdefizit-Grenze zu vermeiden, führt dies wegen der Rückkoppelungseffekte zu einer Verschärfung und Verlängerung der Rezession. Es entsteht die Gefahr eines ökonomischen Teufelskreises von Ausgabenkürzungen des Bundes, abnehmendem Wachstum, zunehmender Arbeitslosigkeit, sinkenden Steuereinnahmen, wachsenden Sozialausgaben, damit steigenden Budgetdefiziten und neuen Kürzungsprogrammen.”

(Günther Grunert, Ökonom und Autor bei Makroskop – Schuldenbremse – Gegen alle ökonomische Vernunft, Makroskop, 6.9.2023)

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No 636

“Der Brics-Gipfel in der vergangenen Woche sollte den Beginn einer neuen Weltordnung einläuten – das Ende der amerikanischen Ära und den Aufstieg der Entwicklungsländer. Nach Ansicht einiger enthusiastischer Analysten würde der Gipfel sogar als eine weitere Konferenz von Bandung in die Geschichte eingehen, jenes Treffen von 1955, das während des Kalten Krieges den Weg für eine blockfreie Bewegung ebnete.
Und in dieser Hinsicht war das Treffen in Johannesburg durchaus erfolgreich. Die Organisation kündigte ihre erste Erweiterung seit ihrer Gründung im Jahr 2009 an: Zu den fünf ursprünglichen Brics-Mitgliedern – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – werden im nächsten Jahr Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, der Iran, Äthiopien und Argentinien hinzukommen (vorausgesetzt, die derzeitige Regierung gewinnt die anstehenden Wahlen, was unwahrscheinlich erscheint).
Noch wichtiger ist, dass der Gipfel die Bereitschaft des Blocks unterstrich, sein wachsendes wirtschaftliches Gewicht zu nutzen, um die vom Westen dominierte Weltordnung herauszufordern. Die Kombination dieser beiden Elemente – wachsende wirtschaftliche Stärke und politischer Mut – bedeutet, dass der Block (der in Brics Plus umbenannt werden soll) zu einem vollwertigen geopolitischen Akteur geworden ist, der nicht länger ignoriert werden kann.”

(Thomas Fazi, Journalist und Autor – Aufbruch der Brics-Weltordnung, Makroskop, 2.9.2023)

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No 635

“Sind Sie schon einmal gegen die Fahrtrichtung auf eine Rolltreppe gestiegen und haben versucht, gegen die abwärts gleitenden Stufen anzuarbeiten? Es ist ein ungutes Gefühl. Man tritt und tritt und kommt doch nicht voran. Mit großer Anstrengung kann man sich allenfalls halten.
Oder – anderes Beispiel – haben Sie schon einmal einen Fahrstuhl benutzt, der plötzlich ruckelte und stockte und dann – statt Sie in die oberen Etagen zu befördern – einfach steckenblieb? Urplötzlich wirkt der Raum eng. Manchen scheint die Luft knapp. Die Zeit bis zur Befreiung dehnt sich. Auch kein schöner Moment. […]
Auch die Messungen des Wirtschaftswissenschaftlers Timm Bönke stützen den Befund. Für seine Lebenseinkommensstudien gräbt er sich zusammen mit Kollegen durch Daten von Rentenversicherungen und dem Sozio-oekonomischen Panel, aus dem Mikrozensus und Einkommens-Verbraucherbefragungen seit 1962. Das Team vergleicht: Wer verdient in seinem Leben wie viel? Und wie verhält sich das Einkommen der Eltern zu dem ihrer Kinder?
Den unmittelbar nach dem Krieg in Westdeutschland Geborenen, also den Eltern der heute 40-Jährigen, gelang der Aufstieg in der Breite, selbst für ungelernte Arbeiter war er möglich. 90 Prozent derer, die in den Wirtschaftswunderjahren zur Welt kamen, verdienten mehr als ihre Eltern. Timm Bönke:
>>Für die danach aber gilt das so nicht mehr. Nur jedem Zweiten der 1980 Geborenen gelingt es, das verfügbare Einkommen der Eltern zu übertreffen.<<
Dabei ist das Volkseinkommen seit 1980 pro Kopf um 53 Prozent gewachsen. Der Kuchen ist also sehr viel größer geworden. Wäre er auf gleiche Weise verteilt worden, müssten alle erwachsenen Kinder ihre Eltern irgendwann im verfügbaren Einkommen übertreffen. Tun sie aber nicht.”1

(Julia Friedrichs, Journalistin und Autorin – Working Class: Die Wohlstandsillusion, Deutschlandfunk, 20.8.2023)

  1. Anm. JJ: Große Empfehlung, da Julia Friedrichs auf unterschiedlichen Ebenen zur Darstellung von Ungleichheit und Ausgrenzung ansetzt, informiert und reflektiert! []
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No 634

“Der Konflikt um das Veto der grünen Familienministerin Lisa Paus gegen das Wachstumschancengesetz offenbart dabei, dass die Verschwörungstheorie, die SPD und Grüne zuweilen streuen, wonach die Ampel-Koalition Opfer der fiesen Erpressung durch den kleinsten Koalitionspartner und Finanzminister Lindner sei, nicht stimmt. Nicht nur unterstützt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Lindners Finanzpolitik ausdrücklich. Auch Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Habeck, der die grünen Minister in der Koalition koordiniert, hatte dem Gesetz intern bereits zugestimmt. Im Frühjahr 2022 hatten SPD und Grüne die Eckwerte des Bundeshaushaltes klaglos durchgewinkt. Bereits vor Wochen ließen sich grüne Abgeordnete anonym zitieren: Lisa Paus solle sich bei der Kindergrundsicherung nicht verkämpfen. Schließlich sei Bekämpfung von Kinderarmut nicht das Wichtigste für grüne Besserverdiener. Die Konflikte in der Ampel sind daher auch interne Konflikte der Grünen.
Auch nicht vergessen werden sollte: In der Vergangenheit forderten wesentliche grüne Finanzpolitiker wie Anja Hajduk, heute Staatssekretärin von Wirtschaftsminister Habeck, gar noch eine Verschärfung der Schuldenbremse und permanente Haushaltsüberschüsse Deutschlands. Und Habeck schrieb vor der Bundestagswahl Gastbeiträge in der FAZ gegen eine Vermögensabgabe für Milliardäre. Auch beim faulen Kompromiss für die Erbschaftssteuer im Bundesrat, die aufgrund großzügiger Privilegien für Firmenerben immer wieder vom Verfassungsgericht bemängelt wurde, stimmten der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, sowie der damalige Landwirtschaftsminister Schleswig-Holsteins, Robert Habeck, ohne Not zu. Christian Lindner ist ein beliebter Buhmann, um von den eigenen Widersprüchen abzulenken.
Dabei trägt Deutschland heute bereits die rote Laterne bei den öffentlichen Investitionen in der EU. Die Investitionsquote in Deutschland – öffentliche Investitionen im Verhältnis zum BIP – liegt seit Jahren so niedrig, dass wir als einstiges Land der Ingenieure, Dichter und Denker nicht einmal den Wertverlust des öffentlichen Kapitalstocks durch Verschleiß ausgleichen. Der Zustand der Deutschen Bahn oder der Regierungsflieger ist ein Symbol für Deutschland. Während wir uns zum Gespött der Welt machen, wird in den USA mit dem >>Inflation Reduction Act<< in Zukunftstechnologien investiert; China baut derweil die Solarkapazität im Rekordtempo aus.”

(Fabio De Masi, ehem. MdB, ehem. MdEP, Finanzexperte – Klimageld, Rente, Kürzungspolitik: Diese Bundesregierung ist eine Zumutung, der Freitag, 17.8.2023)

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No 633

“>>Durch die massiv gestiegenen Kosten in der stationären Pflege erreicht die Belastung der Pflegebedürftigen mit den >>Eigenanteilen<< trotz der jüngsten Reformschritte bereits in diesem Jahr ein neues Rekordniveau<<, so begann der Beitrag Armutsfalle Pflegeheim? Die Sozialhilfequote in Pflegeheimen steigt (wieder) an, der hier am 23. Februar 2023 veröffentlicht wurde. Da ging es um die wieder steigende Sozialhilfequote unter den Menschen, die stationär in Pflegeheimen versorgt werden. Mehr als jeder dritte Pflegebedürftige ist auf Leistungen der kommunalen Sozialhilfe angewiesen – und das ist gleichsam die andere Seite der Medaille steigende Eigenanteile.
Und das angesprochene Rekordniveau bei den finanziellen Belastungen der Heimbewohner wird nun durch die neuesten Zahlen die Eigenanteile der Pflegeheimbewohner betreffend bestätigt. >>Die Auswertung des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) vom 1.7.2023 zeigt erneut einen starken Anstieg der finanziellen Belastung der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen. Die höchsten Mehrkosten im Vergleich zum Vorjahr haben Pflegebedürftige im ersten Jahr ihres Aufenthalts. Hier stieg die monatliche Eigenbeteiligung innerhalb eines Jahres bundesweit im Durchschnitt um 348 Euro (2022: 2.200 Euro; 2023: 2.548 Euro).<< Das berichtet der Verband der Ersatzkassen unter der Überschrift Finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen steigt kontinuierlich. Das ist ein Anstieg von fast 16 Prozent innerhalb eines Jahres. […]
Da wäre natürlich der seit langem geforderte Umbau der Teilleistungsversicherung Pflegeversicherung hin zu einer Voll- oder wenigstens einer echten Teilkaskoversicherung. […]
Es wäre so viel notwendig, was schon längst hätte in die Wege geleitet werden müssen – angesichts der großen Welle, die sich im Bereich der Langzeitpflege bereits aufbaut und die noch an elementarer Wucht gewinnen wird, ist viel Zeit verloren worden. Und es ist sieht nicht wirklich danach aus, dass man sich zu den an sich erforderlichen großen und mutigen Schritten durchringen kann.”

(Stefan Sell, Professor für Sozialpolitik – Es geht weiter aufwärts. Mit den Eigenanteilen. Die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen steigt kontinuierlich, Aktuelle Sozialpolitik, 19.7.2023)

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No 632

“Die (ehemals) französische Kolonie Niger verfügt über die hochwertigsten Uranerze Afrikas und ist der siebtgrößte Uranproduzent der Welt, aber der Weltbank zufolge sind 81,4 Prozent seiner Bürger noch nicht einmal ans Stromnetz angeschlossen. 40 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze, ein Drittel der Kinder ist untergewichtig, die Analphabetenquote liegt bei 63 Prozent. Nur die Hälfte der Einwohner hat Zugang zu sauberem Trinkwasser, nur 16 Prozent sind an eine angemessene Sanitärversorgung angeschlossen.
Das gesamte Staatsbudget Nigers, eines Landes mit der dreifachen Fläche der Bundesrepublik, ist mit rund 4,5 Milliarden Euro nicht größer als der jährliche Umsatz des französischen Atomkonzerns. Trotz seiner Uran- und Goldvorkommen lag der Niger im Entwicklungs-Index zuletzt auf Platz 189 von 191 erfassten Staaten.
Frankreich hat im Zuge der >>Dekolonisierung<< der 1960er-Jahre seine vormaligen Kolonien zwar in die formale Unabhängigkeit entlassen, hinterließ ihnen allerdings Staats- und Rechtsordnungen, die – wie in der Kolonialzeit – darauf ausgelegt waren, die Bevölkerung einerseits mit möglichst geringem Aufwand zu kontrollieren und andererseits so viele Rohstoffe zu exportieren als irgend möglich. Nicht genug, dass Frankreich sich über den sogenannten Kolonialpakt in Françafrique weiterhin das Vorkaufsrecht auf alle natürlichen Ressourcen und den privilegierten Zugriff auf Staatsaufträge gesichert hat, es zwingt den Staaten seither ebenso seine irrwitzige Kolonialwährung CFA-Franc auf, die jede autonome Geld-, Wirtschafts- oder Sozialpolitik der (formal souveränen) Staaten nachhaltig verunmöglicht. Die vierzehn CFA-Staaten sind nicht nur durch einen festen Wechselkurs, der allein von den Nachfahren französischer Kolonialmessieurs bestimmt wird, an den Euro gekettet, (was ihnen 1994 eine 50-prozentige Abwertung einbrachte), sondern haben auch jeden Zugriff auf 85 Prozent ihrer Währungsreserven verloren, die sie gezwungenermaßen bei der Agence France Trésor hinterlegen müssen.”1

(Martin Sonneborn und Claudia Latour, Satiriker und politische Beraterin – Martin Sonneborn: Globaler Süden will nicht mehr vom Westen ausgeplündert werden, Berliner Zeitung, 4.8.2023)

  1. Anm. JJ: Für Interessierte, siehe z.B.: “Mit offenen Karten – Der CFA Franc, ein koloniales Erbe” (arte, 2019) oder “Warum Frankreich immer noch Afrika kontrolliert” (The Gravel Institute) []
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No 631

“Was passiert ist, dass das, was sich über lange Zeit angebahnt hat, nämlich die zunehmende Besiedlung, das zunehmende Verwischen der grünen Linie zwischen Israel, Kernland Israel und den besetzten Gebieten, dass das jetzt ganz offizielle Regierungspolitik ist. Also, klare Absage an eine Zwei-Staaten-Regelgung, kein Platz für palästinensische Souveränität oder Staatlichkeit, jüdischer Anspruch auf das gesamte Gebiet und Vorantreiben von Siedlungspolitik und eben der Gleichstellung der Siedlerinnen und Siedler mit den anderen Staatsbürgern Israels, d.h., die werden nicht mehr als Bevölkerung gesehen, die in einem Gebiet leben, was nicht dem israelischen Staatsgebiet zugehörig ist, sondern, in der Diktion der Regierung, die Anwendung von Souveränität eben im gesamten Gebiet. […] D.h., was wir hier sehen ist Annexion, aber das Wort Annexion wird nicht ausgesprochen. Weil, 2020, unter der vorherigen Netanjahu Regierung, gab es eben den Beschluss, 30% der Westbank zu annektieren und da gab es dann doch sehr sehr deutlichen Widerstand, aus Europa, aus anderen Teilen der Welt, und deshalb hat man sich dafür entschieden, dass man zwar annektieren möchte, aber es nicht so nennt. […]
[…] Die jetzige israelische Regierung hat angefangen, sogenannte Siedlungsaußenposten zu legalisieren. Das sind die Siedlungen, die auch nach israelischem Recht bislang illegal waren, und davon gibt es über 100 in der Westbank, die zum Teil sehr tief in der Westbank sind. Und wenn man die alle legalisiert, vergrößert, anschließt an die Infrastruktur, dann ist gar nichts mehr da an Territorium für einen palästinensischen Staat. Das hat der oberste Gerichtshof bislang verhindert, und das ist aber ein Punkt, warum ihm diese Kompetenzen genommen werden sollen.”

(Muriel Asseburg, Wissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik – Nahost-Expertin Muriel Asseburg über Israel & Palästina – Jung & Naiv: Folge 647, YouTube-Kanal von jung & naiv, 27.6.2023)

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No 630

“Wer in der zivilisierten Welt ein Auto fahren will, muss nachweisen, dass er Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit seines Fahrzeugs richtig einschätzen, die Hilfsmittel zur Stabilisierung beherrschen und einen gewissen Überblick über das Verkehrsgeschehen gewinnen kann. Diese Nachweispflicht findet allgemeine Zustimmung in der Bevölkerung, weil der Fahrwillige nicht nur sich selbst, sondern auch andere in höchste Gefahr bringen kann, wenn er die geforderten Fähigkeiten und Kenntnisse nicht hat. Wer eine Volkswirtschaft lenkt, muss nichts dergleichen nachweisen, obgleich die allgemeine Gefährdung für Leben und Wohlergehen der Bevölkerung, die von seinen Fehlurteilen und seinem Fehlverhalten ausgeht, enorm ist. Solche Vergleiche drängen sich bei der Beschreibung auf, wie die Bundesregierung gegenwärtig mit der Wirtschaft des Landes umgeht.”

(Heiner Flassbeck und Friedericke Spiecker, Makroökonom*innen – Noch auf des Messers Schneide? Die Bundesregierung verkennt die konjunkturelle Lage, Relevante Ökonomik, 11.7.2023)

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No 629

“Wir müssen nicht warten, bis das chinesische Bruttosozialprodukt unseres übertrifft, wir sind schon überholt. In diesem Sinne, dass wir nicht mehr unser Schicksal bestimmen. Nun, die Chinesen bestimmen ihr Schicksal auch nicht, also die Welt ist konstitutiv multipolar. Wir sind nicht mehr in den 90er Jahren. Und, ich meine, wenn wir das irgendwie, wenn wir das wirklich intus hätten, das wäre wirklich was Gutes. Ich meine auch kulturell, dass wirklich, also, diese – Bescheidenheit ist zu viel gesagt – aber, dass wir einfach nur wirklich wissen, wo man steht. […] Von China sollen wir einfach erstmal nur lernen, dass es China gibt.”

(Adam Tooze, britischer Wirtschaftshistoriker – Wirtschaftshistoriker Adam Tooze über US-Hegemonie, Kapitalismus & Klima, Interview bei Jung & Naiv, Youtube-Kanal von Jung & Naiv, 13.7.2023)

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No 628

“Die Tafeln in Deutschland beklagen angesichts stark gestiegener Lebensmittelpreise einen >>Ausnahmezustand<< bei der Verteilung von Lebensmitteln für Bedürftige. Während sich die Anzahl der Kunden an manchen Standorten >>fast verdoppelt<< habe, seien die Lebensmittelspenden >>teilweise um 50 Prozent zurückgegangen<<, sagte der Vorstandsvorsitzende des Tafel-Landesverbands Schleswig-Holstein und Hamburg, Frank Hildebrandt, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Mittwochsausgaben). Tafel-Bundeschefin Michaela Engelmeier forderte den Staat auf, >>das Existenzminimum<< der Menschen abzusichern.
Es gebe >>erschreckende<< Berichte von den Tafeln, sagte Engelmeier weiter. In Zeiten von >>Rekordinflation und Preisexplosion<< könnten sich viele Menschen >>nicht einmal mehr das Essen leisten<<.
Betroffen seien nicht nur Menschen, die Bürgergeld empfingen, sondern auch Millionen Geringverdiener und Rentner. Die Ehrenamtlichen der Tafeln, deren Zahl >>nahezu konstant<< geblieben sei, arbeiteten >>an der absoluten Belastungsgrenze – sowohl psychisch als auch körperlich<<, sagte Tafel-Sprecherin Anna Verres.”

(Die Welt – „Ausnahmezustand“ – Tafeln fordern Hilfe von der Politik, Welt.de, 6.7.2023)