Nachdem schon seit einigen Jahren in der G20 Kritik am deutschen Wirtschaftsmodell, das auf dauerhaften Exportüberschüssen und damit auf der Verschuldung von anderen Staaten (insbesondere der Euroländer) beruht, geübt wurde, wird diese Kritik nun noch offizieller. In einem Halbjahresbericht findet das US-Finanzministerium deutliche Worte gegenüber der paradoxerweise in Europa auch noch als Sparzuchtmeister auftretenden Bundesregierung.
Germany has maintained a large current account surplus throughout the euro area financial crisis, and in 2012, Germany’s nominal current account surplus was larger than that of China. Germany’s anemic pace of domestic demand growth and dependence on exports have hampered rebalancing at a time when many other euro-area countries have been under severe pressure to curb demand and compress imports in order to promote adjustment. The net result has been a deflationary bias for the euro area, as well as for the world economy. Stronger domestic demand growth in surplus European economies, particularly in Germany, would help to facilitate a durable rebalancing of imbalances in the euro area.
Sinngemäß übersetzt:
Deutschlands anhaltende Exportüberschüsse sind höher als die von China, weil die Binnennachfrage in Deutschland weiter stagniert. Während Deutschland also nichts zu einer Reduzierung der Ungleichgewichte beiträgt, sind viele andere Euroländer zur Drosselung ihrer Binnennachfrage (Lohnkürzung, Anm. d. Verf.) gezwungen, was in der Eurozone und der Welt deflationäre Tendenzen freisetzt. Eine höhere Binnennachfrage in Deutschland würde bei der Beseitigung der Probleme der Eurozone helfen.
Eine logische Analyse, die wir und viele andere teilen. Heiner Flassbeck warf der deutschen Politik und Medienlandschaft zurecht eine merkantilistische Denkweise vor.
Das Bundesfinanzministerium kann dagegen “die Analyse nicht nachvollziehen”. Es gäbe zwar einen Exportüberschuss, aber dieser wäre weder für die Eurozone noch für die Welt ein Grund zur Sorge. Ein korrekturbedürftiges Ungleichgewicht gäbe es in Deutschland nicht, weil die Binnenkonjunktur angezogen hätte. Deutschland sei außerdem ein globaler Wachstumsmotor.
Die Beratungsresistenz der Bundesregierung ist unübertroffen. Es bleibt ihr Geheimnis, wie andere Länder ihre Schulden abbezahlen sollen, wenn die deutschen Überschüsse nicht abgebaut werden. Und dass man mit Lohnzurückhaltung und Sparprogrammen für alle “globaler Wachstumsmotor” wird, gehört zu einer der größten neoklassischen Legenden.
Tatsächlich ist – konsistent mit der US-Analyse – die Eurozone laut Eurostat im Oktober mit einer Preissteigerung von 0,7% massiv unter der Zielinflation von 1,9% geblieben.
Zusatz Jascha:
Für diejenigen, denen der Hintergrund nicht ganz vertraut ist, seien noch ein paar Darstellungen angeführt. Deutschlands dominante Rolle innerhalb der Eurozone lässt sich nicht einzig darauf zurückführen, dass es das ökonomisch stärkste Land innerhalb der Eurozone ist und somit die größten Beiträge etwa für den ESM zahlt. Dies ist die einzige Begründung, die in den meisten Mainstreammedien zu hören ist. Ein ganz wesentlicher Aspekt der deutschen Dominanz besteht hingegen darin, dass Deutschland viele andere Volkswirtschaften innerhalb der Eurozone durch seine aggressiven Exportüberschüsse in die Auslandsverschuldung getrieben hat, deren Gläubiger ist und dadurch Kürzungsprogramme forcieren kann, die diese Länder in den Ruin treiben und die Lebensgrundlage vieler Millionen Menschen zerstören. Da die Exportüberschüsse hierbei durch die massive Lohn”zurückhaltung” in Deutschland erzeugt wurden, haben dadurch nicht nur die meisten Menschen in den von den Kürzungsprogrammen besonders betroffenen Ländern zu leiden, sondern auch ein erheblicher Teil der Bevölkerung hierzulande wurde um seinen Lohn betrogen, den er hätte erhalten müssen, wären die Löhne insgesamt gemäß Zielinflationsrate (1,9%) plus Produktivitätszuwachs (ca. 1,3%) gestiegen. Die folgende Grafik von Hannes verdeutlicht, welch enorme Lohnsumme den Arbeitnehmer_innen zwischen 1999 und 2012 kumuliert vorenthalten wurde:
Zwischen dem Stundenlohn, der gemäß Steigerung der Arbeitsproduktivität hätte gesamtwirtschaftlich gezahlt werden müssen, und jenem, der dann tatsächlich gezahlt wurde, klafft im betrachteten Zeitraum eine Lücke von 1350 Mrd. Euro. Zu bedenken ist, dass diese Gelder nun etwa in Kranken-, Renten- und Pflegekassen fehlen. Der demographische Wandel wäre unter Berücksichtigung der Produktivitätsentwicklung und Beteiligung der Löhne an dieser überhaupt keine Schwierigkeit. Altersarmut und unterfinanzierte Pflege sind innerhalb dieser Betrachtung ebenso Dinge, die sich schnell als Scheinprobleme (oder eben rein politisch, und durch Lobbygruppen forcierte Entwicklungen) darstellen.
Wie sehr das deutsche Wirtschaftsmodell darauf beruht, dass die Nachfrage aus anderen Ländern geklaut wird (und somit auch dort Beschäftigungsmöglichkeiten genommen werden), macht folgende Grafik deutlich:
Der Außenbeitrag, also jener Anteil am BIP-Wachstum, der auf Exportüberschüsse zurückgeht, machte rund die Hälfte des deutschen Wirtschaftswachstums seit 1999 aus. Wäre die Nachfrage im Ausland also nicht von Deutschland abgesaugt worden, hätte die Lohn”zurückhaltung” hierzulande geradewegs Wirtschaftsflaute bedeutet (orange Linie). Da Löhne nämlich der zentrale Verteilungs- und Nachfragemechanismus in modernen Volkswirtschaften sind, können wirtschaftliche und politische Eliten sie den Arbeitnehmer_innen nur dann vorenthalten, wenn man einen Ersatznachfrager im Ausland hat, der sich dabei verschuldet, da er Waren nicht mit Waren, sondern mit Schulden bezahlt. Gerade diesen selbst erzeugten Umstand nutzt die neoliberale Einheitspartei samt der Wirtschaftseliten und gedeckt von den Medien, um nun gegen die Schuldner vorzugehen und sie in den ökonomischen Ruin und das gesellschaftliche Elend zu treiben.
Auf diesen Sachverhalt weisen Flassbeck, Jens Berger und Albrecht Müller seit langem hin. Dass sie jetzt von der US-Statistikbehörde Unterstützung bekommen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Zwei Fragen habe ich dazu:
Erstens:Die Exportweltmeister-Fans argumentieren, dass der Überschuss ja zum großen Teil nicht gegenüber der Eurozone, sondern mit den China, Brasilien usw. entstand. Er könne also für die Lage der Südländer nicht verantwortlich sein.
Zweitens: Hätte es die beschriebene Lohnzurückhaltung nicht gegeben, wäre doch die Arbeitslosigkeit in D deutlich höher.
Das müsste man doch mit einrechnen, oder?
Erstmal Danke fürs Interesse!
Zu Ersten:
Zählt man alle Exportüberschüsse (Warenhandel) Deutschlands gegenüber den Euroländer seit 1999 zusammen und setzt diese zu Deutschlands Exportüberschüssen insgesamt ins Verhältnis, so erhält man 53% (in die EU 81%, in den Rest der Welt 19%). Das ist ein gewaltiger Betrag von über 1 Billion Euro. Zusätzlich muss auch bedacht werden, dass die Euroländer mit Defiziten den Euro vor einer Aufwertung bewahrt haben und somit Deutschland auch gegenüber anderen Ländern wettbewerbsfähig bleiben konnte.
Gesamtwirtschaftlich bleibt, aber letztendlich: „lang anhaltende Exportüberschüsse bedeuten, dass Waren verschenkt werden“
Zu Zweitens:
Das Wachstum in Deutschland war bis zur Krise im gesamten Zeitraum unterdurchschnittlich im Vergleich zur Eurozone insgesamt. Auch das Arbeitsvolumen ging in Deutschland stärker zurück (hat heute den Wert von 1999) als in vielen Euroländern. Gesamtwirtschaftlich gibt es also Argumente, die dagegen sprechen. Lohnsteigerungen sind eher in der Lage nachhaltig die Arbeitslosigkeit zu senken.
Auffallend ist weiterhin, wie wir bei der Debatte zur Mindestlohnhöhe in Ostdeutschland sehen können, das der Begriff Arbeitslosigkeit (unter der Prämisse „Hauptsache irgendeine Arbeit“) umgedeutet wird. Beschäftigungsverhältnisse die regulär unter 8 Euro/Std. vergütet werden, führen notwendigerweise zu „Aufstockungsleistungen“ des Staates, hier liegt also bereits partielle Arbeitslosigkeit im Hinblick auf Kosten des Staates und demütigende Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Jobcenter vor. Der Boom der prekären Beschäftigung (alias Jobwunder) schwächt rückwirkend die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer und schreibt Lohndumping in die Zukunft fort und hemmt so eine nachhaltige, positive Entwicklung der Arbeitslosigkeit und Wirtschaft. Ein weiterer Effekt, der „überraschenderweise“ zur „Senkung“ der Arbeitslosigkeit führte, ist der mit Hartz IV eingeführte Arbeitszwang (Zumutbarkeit): Menschen die zur Niedriglohnarbeit gezwungen werden, arbeiten. Aber ohne, dass es mehr Arbeit (Arbeitsvolumen blieb in Deutschland stehen) gibt. Die bereits vorher vorhandene Arbeit wird bestenfalls auf mehr Personen in schlechteren Beschäftigungsverhältnissen aufgeteilt.
Wenn die Arbeitslosigkeit gering wäre und Fachkräftemangel vorherrschen würde, sollten dann nicht die Löhne steigen?
Ich möchte auch noch ein paar Stichworte zu den beiden Fragen einwerfen:
zu 1:
Momentan ist die negative Leistungsbilanz der südlichen Euroländer tatsächlich zurückgegangen. Das liegt jedoch daran, dass man die Nachfrage in den südlichen Eurozonenländern hat zusammenbrechen lassen, denn dadurch sind in erster Linie die Importe deutlich zurückgegangen. Jedoch auch weiterhin hat Deutschland etwa gegenüber Spanien Leistungsbilanzüberschüsse. Deutschland ist somit in mehrfacher Hinsicht Klotz am Bein: 1. Es erzielt weiterhin teilweise noch Leistungsbilanzüberschüsse. 2. Deutschland macht mit seinem momentanen Preisniveau die Vorgabe, wohin sich die südlichen Euroländer entwickeln müssten, um zu einer ausgeglichenen Leistungsbilanz unter “normalen Bedingungen” (Nicht-Deflation) zu kommen. 3. Die auferlegte Kürzungspolitik lässt die Ökonomien einbrechen, Arbeitslosigkeit explodieren, ohne dass sich etwas dauerhaft zum Positiven entwickelt. 4. Deutschlands Überschüsse gegenüber der Welt halten den Euro teurer, als er für Südeuropa sein sollte.
Zu 2:
Hannes hat schon deutlich gemacht, dass das Modell der Lohnsenkung, um Nachfrage von außen abzugreifen wirklich schlechte Arbeit nach sich zog und schon allein daher abzulehnen wäre. Die Frage ist ja auch, warum man überhaupt Arbeit entstehen lassen muss, nur damit sich die Exportüberschussunternehmen Forderungen in ihr Büchlein eintragen können, ohne dass die Arbeitnehmer_innen daran durch produktivitätsgekoppelte Löhne beteiligt werden. Bei genauer Betrachtung ist es schon ein sehr absurder Zustand, besonders da die Nachfrage im Inland ja vorhanden wäre: Infrastruktur zerfällt, in der Pflege müssten enorme Ressourcen aufgewendet werden, im Bildungsbereich wäre es sinnvoll, aber auch die einkommensbenachteiligten Menschen müssten nicht in künstlicher Verknappung leben. Nachfrage gäbe es alle Male genug, sogar mehr als man sie durch Exportüberschüsse erzielen kann.