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Wolfgang Michal über Kinderbücher und Wettbewerbsfähigkeit

Wolfgang Michal kommentiert die Rede von Angela Merkel auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos und stellt dabei die Absurdität der medialen Themengewichtung heraus:

Angela Merkel in Davos: “Ich möchte, dass Sie meine Tanzkarte annehmen!”

Hier sehen wir erneut ein Beispiel für das Versagen der Demokratie. Die Massenmedien pusteten in ihrer Berichterstattung allenfalls den Konflik zwischen Merkel und Cameron (UK) auf, bei dem es darum ging, dass das Vereinigte Königreich keine stärkere politische Union haben möchte. In puncto “Wettbewerbsfähigkeit” waren sich die beiden allerdings sehr einig. Auch tagesschau.de rezitierte nur unkritisch das Wettbewerbsgefasel von Frau Merkel, um dann gleich ablenkend auf den Nebenkriegsschauplatz auszuweichen.

Leider haben die meisten Menschen kein wirtschaftliches Rahmenmodell im Kopf, das sie auswerten ließe, was Frau Merkel da sagt, warum sie es sagt und weshalb sie auf Einigkeit im politischen und mainstreammedialen Apparat stößt. Leider ist den Menschen hierzulande eben nicht bewusst, dass sie von 2000 bis 2011 auf 900 Mrd. Euro Lohn [Folien 7] verzichtet haben, weil ihre Löhne nicht entsprechend der Produktivität angeglichen wurden. Leider ist ihnen auch nicht bewusst, dass dies eine grundlegende Ursache für die Eurokrise ist, in der sie nun erneut zur Kasse gebeten und mit der sie erneut verängstigt werden. Leider ist ihnen nicht bewusst, wie dieser Wettbewerb der Nationen nicht nur ihr Leben verdunkelt und Angst erzeugt, sondern zudem forciert wird, und rechtlich-ideologisch in die bisherigen EU-Verträge immer mehr eingraviert wurde (gemeinsamer Binnenmarkt, keine Steuerharmonisierung, keine Lohnkoordinierung bei fehlenden Wechselkursen etc.).

Das Ziel von Frau Merkel ist es, durch europaweiten Sozialabbau und ein Klima allgemeiner Lohnkürzung – die südlichen Euroländer hatten hier vor der Eurokrise noch recht wehrhafte Gewerkschaften – über gesenkte Lohnstückkosten die Weltmärkte zu erobern. Was jedoch die Menschen in Europa von diesem Wirtschaftsmodell der Niederkonkurrierung durch Arbeitsprekarisierung und Senkung der Lohn”kosten” haben werden, sieht man an Deutschland: Ein fragmentierter Arbeitsmarkt mit rund 20 bis 25% Niedriglohnsektor, Teilzeitbeschäftigung, Mini-Jobs, Leiharbeit, Befristung etc. Hohe Arbeitsdichte und stressbedingte Folgen, Altersarmut und öffentliche Armut, dafür jedoch explodierende Konzerngewinne und zunehmende Vermögensungleichheit. Das ist ein Europa für Konzerne und Oligarchen, nicht jedoch für die Menschen.

Wohin die Reise gesamtwirtschaftlich gehen soll, hatten wir in diesen Vortragsfolien angedeutet. Auf der letzten Folie ist der Vergleich Deutschland vs. gesamte Eurozone von 1999 bis 2011. Während die Eurozone als Ganzes in dieser Zeit eine recht ausgeglichene, nur leicht positive Leistungsbilanz aufweist, d.h. weder Forderungen, noch Verbindlichkeit gegenüber dem Rest der Welt aufbaut, türmt Deutschland riesige Forderungen gegenüber der Eurozone, sowie der restlichen Welt auf. Das war es, was Grundlage des deutschen Wirtschaftswachstum in den Jahren seit 2000 gewesen ist. Doch dieses Wirtschaftswachstum ist eines, das lediglich finanzielle Forderungen in die Welt aufbaut, von denen die inländische Bevölkerung mehrheitlich dann nichts hat. Es geht ja auch weiterhin durch die (nun in Europa eingeleiteten) Lohnsenkungen gerade darum, Exportüberschüsse zu erzielen, hingegen geht es nicht darum einen ausgeglichenen Außenhandel in Europa zu haben, da dieser ja bislang vorlag. Die Bevölkerungsmehrheit gehört hierbei gerade zu den Lohngekürzten und nicht zu den Kapitaleignern, die sich die resultierenden riesigen Unternehmensgewinne dann einstreichen können (um so über mehr Einfluss in der Welt zu verfügen).

Würden die Menschen den falsch verstandenen Begriff “Wettbewerbsfähigkeit”, sowie dessen proklamierte Steigerung nicht für ein notwendiges Übel halten (“sonst wandern Arbeitsplätze ab”), sondern würden sie klar vor Augen haben, dass sich dahinter nicht nur ein zum Scheitern verurteiltes, menschenfeindliches Wirtschaftsmodell verbirgt, das allein Vermögen und Macht bei jenen mehrt, denen Wohl und Wehe der übrigen Bevölkerung reine Manövriermasse sind, würden sie wohl auch mehr Zeit darauf verwenden, jene Reden nach der Bedeutung für das eigene Leben auszuwerten, die die Entscheidungsträger_innen von sich geben, um dann entsprechende Konsequenzen an der Wahlurne zu ziehen. Doch das scheint Utopie.

Jascha Jaworski

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