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Die Sachverwaltung des Westens in ein Überwachungs- und Propagandasystem

Wie auf der unabhängigen Veröffentlichungsplattform The Intercept erst am 14. Juli mit Verweis auf weitere Dokumente von Edward Snowden berichtet wurde, lässt der britische Geheimdienst GCHQ umfassende Instrumente zur Manipulation des Internets entwickeln. Mit diesen kann nicht nur Internetinfrastruktur lahmgelegt werden, so etwa Webseiten durch DDoS-Attacken, also jene Methode, für die bereits das Herunterladen entsprechender Programme in UK unter Strafe steht, sondern ebenfalls einem ganzen Repertoire, um die öffentliche Meinung über das Internet zu beeinflussen und massenhafte Falschinformationen zu streuen, so etwa Programme zur Fälschung von Abstimmungsergebnissen, zum massenhaften Versenden von Emails und Posting von Blogeinträgen, zur Fälschung von Emailverkehr usw. usf. (siehe hierzu auch The Intercept oder heise online). Die GCHQ Bediensteten werden hierbei geradezu aufgefordert die Programme zu nutzen und können sich über diese in einer reichhaltigen Angebotspalette informieren.

Auch ein Beitrag im Deutschlandradio1 (ca. 15 min.) hatte die Thematik aufgegriffen und Sachverständige u.a. zum Potential der Beeinflussungsmethoden interviewt. Hier wird auch noch einmal an den im Juni veröffentlichten Umstand erinnert, dass Facebook ein riesiges Experiment zur Stimmungsmanipulation mit seinen nicht eingeweihten Nutzer*innen durchführte, bei dem Hunderttausende über eine Woche lang mit systematisch variierten Nachrichteninhalten versorgt wurden, um anschließend das Verhalten dieser Menschen in Hinblick auf Stimmungskongruenz zu überprüfen.

Man braucht allerdings nicht groß herumzurätseln, inwiefern sich Stimmungen und Gedanken über das Internet beeinflussen lassen. Die Nutzung des Internets zum Austausch von Meinungen und als Informationsquelle nimmt über alle Altersgruppen hinweg zu. Wer hier nicht nur umfassend und konzertiert Informationen verbreiten kann, denen verdeckte geheimdienstliche oder evtl. auch sonstige regierungsseitige Interessen zugrunde liegen, sondern dabei auch noch den Eindruck vermitteln kann, es handele sich um unabhängige Meinungen aus der Bevölkerung, wer also Basisdemokratie simulieren kann in einem Medium, das zum Hauptbezugspunkt der öffentlichen Meinung wird, hält ein mächtiges Werkzeug zur Vertiefung orwell’scher Zustände in den Händen.

Wir hatten in einem anderen Artikel bereits über sozialpsychologische Befunde berichtet, die deutlich machen, wie stark Menschen in ihren Meinungen von wahrgenommenen Mehrheitsverhältnissen beeinflusst werden (siehe: “Von Mehrheiten und solchen, die es werden wollen”). Ob es sich um Kriegseinsätze oder andere politische Fragen handelt, reine Wiederholung und die durch sie hervorgerufene Vertrautheit konstruieren soziale Realitäten, sie erzeugen den Eindruck von Mehrheiten und politischer Legitimation und fördern auf diese Weise die Unterstützung selbst solcher Handlungen, die der eigenen Position widersprechen können. Dies scheint besonders dort der Fall zu sein, wo das eigene Wissen gering ist – und nun bedenke man etwa, dass in außenpolitischen und ökonomischen Angelegenheiten die Bevölkerung, was Rahmenwissen anbelangt, unterversorgt wird.

Auch die deutschen Geheimdienste haben das Potential sozialer Netzwerke erkannt und räumen ein, dass sie Echtzeitprogramme zur Erfassung von Stimmungen in diesen anstreben. Hierbei wurde auch darauf verwiesen, dass GCHQ und NSA methodisch bereits viel weiter seien. Und Bundeskanzlerin Merkel gab bereits zur Kenntnis, dass trotz aller Kürzungsdoktrin eine Aufstockung der Finanzen für geheimdienstliche Aktivitäten angedacht ist.

Halten wir also fest:

  • Die GCHQ setzt ihre umfassenden Ressourcen dafür ein, mit Falschinformationen und Propaganda die Öffentlichkeit über das Internet zu beeinflussen und kritischen, demokratischen Meinungsaustausch zu sabotieren.
  • Das Potential für derartige Methoden wird an anderer Stelle bereits durch Experimente in sozialen Netzwerken ausgewertet.
  • Wie sozialpsychologische Befunde nahe legen, lassen sich öffentliche Meinungen bereits durch die Vermittlung falscher Mehrheitsverhältnisse verschieben, vermutlich besonders dort, wo wenig politisches Rahmenwissen (z.B. Außenpolitik, Ökonomie) als alternativer Meinungsanker zur Verfügung steht.
  • Auch die deutschen Geheimdienste wollen die sozialen Netzwerke verstärkt nutzen und entsprechende Gelder sollen ihnen zur Verfügung gestellt werden.
  • Dies wird das Tätigkeitsfeld gerade des BND sein, der in Bezug auf den GCHQ-Partner NSA vom ehemaligem Mitarbeiter Thomas Drake doch erst vor dem Untersuchungsausschuss als “Wurmfortsatz” der NSA bezeichnet wurde.

Worauf wartet die demokratische Öffentlichkeit hierzulande eigentlich noch, bevor sie endlich die politisch Verantwortlichen aus SPD und CDU/CSU vehement dazu auffordert, die Sachverwaltung hinein in ein perfektioniertes Überwachungs- und Propagandasystem einzustellen und wieder den Rückwärtsgang einzulegen? Darauf, dass der Geheimdienst die dafür nötige Empörung endlich in Echtzeit dokumentieren kann?

In Zeiten sich zuspitzender ökonomischer Zustände (Finanzmarktkrise, Deflationsklima, Kürzungsproteste) und wachsender Interessen deutscher und europäischer Eliten an einer Militarisierung der Außenpolitik (Stichwort: “Neue Macht. Neue Verantwortung.”), muss man jedenfalls nicht assoziationsgelockert sein, um große Gefahren aufkommen zu sehen, in Anbetracht neuer Möglichkeiten, die sich gegen die verflixte Einschränkung durch die öffentliche Meinung richten, wie sie in einer Demokratie bislang gegeben ist.

Nachtrag (22.7.):

Hier übrigens noch ein Vortrag von Sascha Lobo, der auf das kybernetische Ideologiedenken hinter der Datensammel- und Datenzusammenführungsgier eingeht. Die Idee läuft darauf hinaus, durch maximalen Datenbesitz das Verhalten von Menschen statistisch vorherzusagen, so dass hier präventiv gegen bestimmte Verhaltensweisen vorgegangen werden kann, noch bevor sie aufkommen. Herr Lobo verdeutlicht an einer Reihe von Studien und Beispielen, wie diese Ansätze bereits Realität sind und wohl auch in der menschenverachtenden Tötungstechnologie automatischer Drohnen Einsatz finden sollen (wer geschichtliche Aspekte zur Kybernetik auslassen möchte, kann ab der Minute 16 starten):

“Sascha Lobo: Über Überwachung” (Vortrag vom 23.5.2014)

Der Vortrag in schriftlicher Form ist hier zu finden.

  1. Titel: “Eingriff in die Demokratie – die Manipulations-Tools des GCHQ” []

Jascha Jaworski

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