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Gabriels Expertenkommission und die grauen Herren unserer Zeit

Es ist immer wieder eindrucksvoll mitzuerleben, wie sich die grauen Herren des Neoliberalismus darauf verstehen, auf Probleme, die sie mit der Umsetzung ihrer eigenen unbeirrbaren Glaubensgrundsätze herbeigeführt haben, solche (Schein-)Lösungen zu finden, die nicht nur die Folgen der selbst herbeigeführten Probleme für das eigene Klientel abfedern, sondern auch der weiteren Umsetzung der (sagenhaft gescheiterten) Glaubensgrundsätze dienen. Im Unterschied zu den grauen Herren aus Michael Endes Momo versuchen die grauen Herren im Neoliberalismus die Menschen jedoch nicht dazu zu bringen, Zeit zu sparen (um sie auf diese Weise tatsächlich gerade um ihre Zeit zu betrügen) – dies ist zumindest nicht das Hauptbetrugsfeld – vielmehr suggerieren sie in unserer Welt den Menschen, sie würden sie dazu bringen, Geld zu sparen, wobei sie sie auf diese Weise tatsächlich dazu bringen, Geld zu verlieren. Mit den falschen Ideen lässt sich Geld nämlich ebenso wenig sparen wie Zeit, besonders, wenn sich das vermeintliche Sparen auf die gesamtwirtschaftliche Ebene bezieht.

Worum geht es? Die Rede ist von den Vorschlägen zur „Stärkung von Investitionen in Deutschland“, die im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erdacht wurden. Man sollte sich zunächst jedoch in Ruhe den Kontext vor Augen führen…

Von langer Hand kam es zu der systematischen Machtverschiebung weg vom Staat – der ja zumindest prinzipiell demokratische Entscheidungsmechanismen für die Menschen bereit hält – hin zu den Privatiers (deren Bezeichnung wieder einmal belegt, wie viel Weisheit in der Sprache enthalten ist: privare = berauben). Die reanimierte Idee vom „Nachtwächterstaat“ im Zuge der neoliberalen Wende, die Propagierung des Unternehmertums als dem eigentlichen Akteur in der Demokratie, die Vorstellung von der Marktgesellschaft, die nur noch nach „Wettbewerbsfähigkeit“ strebt… Dies sind Ideen, die die Machtverhältnisse nach den Nachkriegsjahrzehnten, die von einer Stärkung der Arbeitnehmerseite geprägt waren, wieder neu ordnen sollten, indem zunächst der Gedanke vom Gemeinwesen möglichst diskreditiert wurde. Ein Element hierzu hatte der damalige „Wirtschaftsweise“ und einflussreiche neoliberale Hohepriester Herbert Giersch in recht deutlichen Worten festgehalten. Ich will sie noch einmal rezitieren:

„Dies heißt Privatisierung und Deregulierung und ein Kürzen der Staatsausgaben. Widerstand gegen das Abspecken des Staates auf der Ausgabenseite kommt von der Bürokratie und den Subventionsempfängern. Wahrscheinlich muß daher das Abmagern auf der Steuerseite ansetzen: Steuersenkungen zum Mobilisieren des Diktats der leeren Kassen. Dies läßt allerdings, wie die Erfahrung zeigt, die Staatsdefizite steigen.“1

Recht hatte er mit seiner Vorhersage. Die Staatsdefizite stiegen, und das „Diktat der leeren Kassen“ wurde zur scheinbar einzig möglichen Realität. Es wurde zum geradezu „alternativlosen“ Naturzustand. Auf die Einnahmeseite des Staates zu schauen, eine faire Lastenverteilung einzufordern in Anbetracht nie dagewesener Produktionsmittel und enormer Vermögen in sehr wenigen Händen, wurde zum Tabu, zumindest für all jene, die nicht aus dem illustren Kreis der „Führungs- und Verantwortungselite“ ausgestoßen werden wollen, oder noch beabsichtigen, hier einst aufgenommen zu werden. So wurde hierzulande etwa die Wiedervereinigung weitgehend über die Sozialversicherungssysteme und Staatsverschuldung finanziert, während die Unternehmen und das große Geld nicht nur nicht beteiligt wurden, sondern auch noch den großen Raubzug im Osten antreten konnten, mit dem das ehemalige Volksvermögen in konzentriertes Privatvermögen überführt wurde. In der Ära Schröder folgten dann noch mehrere hundert Milliarden Euro Steuererleichterung vornehmlich für Unternehmen, Vermögende und Spitzenverdiener. Und in der Finanzkrise durfte schließlich der Staat die Folgen der Abenteuerlust der großen Vermögen, die auf den Finanzmärkten auf wenig Weisheit stießen, mit öffentlichen Geldern kurieren (der dritte Peak im Staatsschuldenanstieg). Wurde die Idee einer einmaligen Vermögensabgabe, wie sie hierzulande z.B. nach dem Zweiten Weltkrieg zur Anwendung kam, aufgegriffen? Wurde zumindest die ausgesetzte Vermögenssteuer wieder aktiviert? Kam es zu einer stärkeren Besteuerung von Riesen-Erbschaften? Wurden Steuererleichterungen für die besonders Privilegierten zumindest rückgängig gemacht? Nein, nein, nein, nein.

Stattdessen wurde die Gunst der Stunde genutzt, um dem alten Giersch’schen Anliegen verfassungs- und völkerrechtlichen Status zu verleihen. Mit der Schuldenbremse und dem Fiskalpakt wurde das (ausgabenseitige) „Diktat der leeren Kassen“ ins Grundgesetz geschrieben und gleich noch anderen Ländern Europas verordnet. Seit einiger Zeit jedoch lässt sich nicht mehr harmlos reden, was in der öffentlichen Debatte unter Begriffen wie „Investitionsschwäche“ oder „Investitionslücke“ firmiert. Sowohl im öffentlichen, wie auch privaten Bereich signalisieren die Zahlen mittlerweile alles andere als „Zukunftsfähigkeit“ (selbst im ganz kapitalistischen Sinne), und verfallende Straßen, heruntergekommene Schulgebäude, ruinenhafte Schwimmbäder etc., in einem der reichsten Länder der Welt, wecken auch in unkritischen Bürgerinnen und Bürgern wohl allmählich Zweifel.

Nun aber kommt der nächste Streich der grauen Herren, sie beauftragen einander als „Experten“, um nach jenen Lösungen zu suchen, die sich ganz im schmalen Spektrum der „wünschenswerten“ Ideen bewegen. Kriterien hierfür sind, dass die gescheiterten Glaubensgrundsätze („Reichensteuern sind böse“, „Verteilungspolitik ist veraltet“, „>Nachfrage< und >Kaufkraft< sind gefährliche Begriffe“, „Unternehmertum und Privatkapital sind stets effizient“ etc.) einerseits bloß nicht in Verruf geraten, und andererseits das eigene Klientel aus einer Problemlage herausgeführt wird, die durch die Anwendung dieser Glaubensgrundsätze erst entstand. Seit der Finanzkrise, die in die Eurokrise, tja, man kann aufgrund der Unterlassung sagen: überführt wurde, und die schließlich durch ultraorthodoxe Kürzungspolitik – über die selbst die US-amerikanischen Neoliberalen den Kopf schütteln – einen deflationären Zustand hervorgerufen hat, dem die EZB mit verzweifelten Niedrigzinsen begegnet, sieht es nämlich nicht mehr gut aus für all jene, die Geld in erster Linie mit Geld erwirtschaften wollen. Die Anlage- und Renditemöglichkeiten für die enormen Finanzvermögen (die ebenfalls eine Konsequenz der jahrzehntelangen Umsetzung neoliberaler Glaubensgrundsätze sind), stellen sich nämlich als eher bescheiden dar. Wie sollen z.B. die Versicherungskonzerne jenen Menschen ihr Erspartes mit Zins zurückerstatten, denen man zuvor mit Propaganda rund um die Nicht-Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rente die diversen Riester-Produkte als Notwendigkeit verkauft hat? Wie sollen Investmentsfonds und Banken all die überschüssigen Gelder anlegen, die aufgrund der systematischen Umverteilung von unten nach oben mehr Anlagemöglichkeiten benötigen denn je?

Mit der Beantwortung dieser Fragen haben die grauen Herren aus dem Wirtschaftsministerium die grauen Herren vornehmlich aus dem Finanzwesen und der „Wissenschaft“ beauftragt. Und sie haben die Grundlage gelegt für die Fortsetzung der gescheiterten Ideen und die nächste Runde der Umverteilung.

Telepolis hat die Vorschläge rund um die „öffentliche Infrastrukturfinanzierungsgesellschaft“ und die neu aufzubrühenden ÖPP-Vorhaben kürzlich dargestellt:

„Mit der >>Investitionsinitiative<< auf dem Weg zu Schattenhaushalten?“ (Telepolis, 21.4.2015)

Patrick Schreiner erinnert daran, wie es sich hierbei, sowie beim Juncker-Plan, nur darum handelt, der Absurdität der selbst gesetzten Schuldenbremse zum Nachteil der Zahlenden und Vorteil der Geldanleger zu begegnen:

„Die >>Schuldenbremse<< umsetzen, ohne die >>Schuldenbremse<< umzusetzen“ (annotazioni.de, 24.4.2015)

Und Norbert Häring setzte sich vor Kurzem in diesem Zusammenhang noch einmal in klaren Worten mit den „öffentlich-privaten Partnerschaften“ als Hebel gegen das Gemeinwesen auseinander:

„Der Plan der Autobahnräuber: 2. Die Mär von den dummen Kommunen und den neutralen Wirtschaftlichkeitsprüfungen“ (Norbert Häring, 29.3.2015)

Wo bleibt nur unsere Momo, um die grauen Herren zu hindern?

 

  1. Herbert Giersch (1991), Europas Wirtschaft 1991. Ordnungspolitische Aufgaben in Ost und West, S. 17/18, http://www.stiftung-marktwirtschaft.de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/khb07.pdf []

Jascha Jaworski

3 Kommentare

  1. Excellenter Artikel!
    Zusammenfassend würde ich das folgendermaßen formulieren:
    Man hat die Staatsfinanzen gezielt ruiniert, um die neoliberale Agenda durch zu drücken. Das ist auch die flächendeckende Praxis in Euroland – und DE hat die Hauptrolle in diesem Schurkenstück!
    Das “Spiel” ist immer das gleiche, wie man u.a. bei John Perkins (Economic Hitmen) nachlesen kann.
    “Der Schuldner ist schuld” und “Der Gläubiger hat immer recht”. Das ist die “Weisheit”, die den Menschen seit Jahrzehnten medial ins Hirn gehämmert wird.
    LG Traumschau

  2. Moin und danke für den Artikel. Denke er trägt vielleicht dazu bei den Menschen hier im Land ein wenig die Augen zu öffnen.

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