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No 553

“Gegen Flüchtlinge baut die EU eine >>physische Grenzinfrastruktur<< auf, wie der EU-Ratspräsident die meterhohen Mauern und rasiermesserscharfen Stacheldrahtzäune, gesichert durch Tausende hochgerüsteter Grenzschutzsoldaten, beschönigend nennt. Mittlerweile sind etwa 1700 Kilometer martialischer Grenzbefestigungen gebaut oder konkret geplant – das ist etwa die Entfernung von Berlin nach Bukarest. […]
An der EU-Außengrenze entstehen rechtsfreie Räume. Die EU-Staaten missachten die Genfer Flüchtlingskonvention, brechen Völkerrecht, ignorieren Menschenrechte, kümmern sich einen Dreck um die UN-Kinderrechtskonvention (vgl. Art. 22 zu Flüchtlingskindern). Stattdessen alimentieren sie eine profitträchtige Sicherheitsindustrie für den Bau von Schallkanonen, die Entwicklung neuester Techniken der Biometrisierung und Digitalisierung – zur Luftüberwachung mit Radar und Drohnen und KI für Gesichtserkennung wie auch für die Analyse von Satellitenbildern und Bewegungsmustern. Die Sicherheits- und Rüstungsindustrie ist eine Wachstumsbranche, die in den letzten zehn Jahren auf das Zehnfache angeschwollen ist.
Die >>natürliche Abschottung<< durchs Mittelmeer sichern Kriegsschiffe und Aufklärungsflüge der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Das Urlaubsparadies Mittelmeer ist für Zehntausende zum Massengrab geworden: >>Im vergangenen Jahr sind bei dem Versuch, Spanien auf dem Seeweg zu erreichen, mindestens 4.404 Menschen ums Leben gekommen.<< Laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind in den letzten sieben Jahren über 23.000 Menschen ertrunken, Männer, Frauen, Kinder. Die Toten werden zu einer Zahl, die nicht mehr berührt. Statt Menschen in Seenot zu retten, erstattet Frontex Meldung an Libyen und Tunesien mit der Aufforderung, die Boote zurückzuholen. Sie betreibt also Luftaufklärung für die nordafrikanische Küstenwache, damit diese die illegalen Pushbacks durchziehen: Zurückdrängen der Flüchtlinge ohne jede Prüfung der Asylersuchen. In Libyen werden die Zurückgedrängten in Internierungslagern zusammengepfercht, viele misshandelt und als Sklaven verkauft.”1

(Georg Rammer, Autor und Publizist – Mauern, Zäune, rechtsfreie Räume, Ossietzky, Januar 2022)

  1. Anm. JJ: Der Autor erinnert eingangs dankenswerter Weise an den Bericht des “Europäischen Instituts für Sicherheitspolitik” von 2011, den auch wir einst aufgegriffen hatten. Einer der besonders unverblümten Beiträge im Bericht stammte von Thomas Ries, dem damaligen Direktor eines schwedischen außenpolitischen Think Tanks. Ich hoffte insgeheim seine dystopischen Vorschläge für die EU-Grenzpolitik für 2020 würden noch verhindert werden, auch wenn wir uns bereits stramm auf dem Pfad befanden. Heute ist sie leider – beobachtbar nicht zuletzt an den eklatanten Rechtsbrüchen im Dauerzustand – Realität geworden, Zitat Tomas Ries: “Abschottungseinsätze – Schutz der Reichen dieser Welt vor den Spannungen und Problemen der Armen. Da der Anteil der armen, frustrierten Weltbevölkerung weiterhin sehr hoch sein wird, werden sich die Spannungen zwischen dieser Welt und der Welt der Reichen weiter verschärfen – mit entsprechenden Konsequenzen. Da es uns kaum gelingen wird, die Ursachen dieses Problems, d.h. die Funktionsstörungen der Gesellschaften, bis 2020 zu beseitigen, werden wir uns stärker abschotten müssen. Das ist eine Verliererstrategie, die moralisch höchst fragwürdig ist, an der aber kein Weg vorbeiführen wird, wenn es uns nicht gelingt, die Ursachen des Problems zu beseitigen. […]” (Perspektiven für die europäische Verteidigung 2020, EUISS, April 2011, S.81/82) []

Jascha Jaworski

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