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Regierungskombinatorik im Dienste neoliberaler Eliten

Wie die hohen Umfrageergebnisse für die Merkel-Partei zeigen, sind Transparenz und Wahlrecht leider nicht das Einzige, dessen es für eine Demokratie bedarf. Relevante Wirtschafts- und Sozialdaten liegen vor und sprechen eine klare Sprache, und auch die Verantwortlichkeiten im Parteienspektrum sind leicht in Erfahrung zu bringen, dennoch bleibt das Land auf Kurs der bevölkerungsfernen Eliten.

Erinnern wir uns… Die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder hatte den Pfad Helmut Kohls der Umverteilung von unten nach oben geradezu zur Autobahn ausgebaut. Unternehmens- und Reichensteuern wurden gesenkt, der Arbeitsmarkt wurde prekarisiert, die Verantwortlichkeit für Arbeitslosigkeit wurde individualisiert (Schröder: “Es gibt kein Recht auf Faulheit”), der Finanzmarkt wurde dereguliert… Die Große Koalition ab 2005 verteilte dann weiter in diesem Stil von unten nach oben, indem etwa die aufgelaufenen Bankschulden auf das Gemeinwesen abgewälzt wurden, die Reichen nicht zur Kasse gebeten, der Bevölkerungsmehrheit der unteren und mittleren Einkommen dafür jedoch eine saftige Mehrwertsteuererhöhung aufgebürdet wurde. Die nachfolgende schwarz-gelbe Koalition hätte eigentlich nur noch Sachverwaltung der forcierten gesellschaftlichen Spaltung betreiben müssen (so etwa die Zensur des Armuts- und Reichtumsberichts oder die Abwehr eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns), doch betätigte sie sich darüberhinaus nicht nur elitenbereichernd im Inland (z.B. Mövenpick-Steuer), sondern entfaltete besonders dramatische und leider grundlegende Wirksamkeit darin, Europa trotz größter Krise seit 1929 noch weiter auf neoliberalen Kurs zu bringen1, egal wie sehr dieser zum Scheitern verurteilt ist.

Es ist schon eine perfide Form der politischen Arbeitsteilung, mit der die Regierungsparteien des letzten Jahrzehnts den Verelendungskonsens fabrizierten:

Mittelinks (Grüne, SPD als Betäuberin der Gewerkschaften) demontierte den Sozialstaat wie keine Regierung vor ihr, organisierte Lohndumping und Gewinnexplosionen und ersetzte so massenkaufkraftbasiertes Wachstum durch Exportüberschüsse. Mitterechts (SPD, CDU) managte die Wirtschafts- und Finanzkrise so, dass die Reichen nichts zu befürchten hatten2, das Gemeinwesen jedoch weiter geplündert wurde.3 Rechts (CDU, FDP) nutzte dann die Gunst der Stunde, um die Eurokrise, die durch die Finanzkrise und die staatliche Bankenrettung ausgelöst wurde, grundlegend jedoch durch die deutsche Wettbewerbsdoktrin bedingt ist, um mit falschen Erzählungen (“Der Süden muss sparen”, “Europa lebt über seine Verhältnisse”) die weitere Arbeitsnehmer_innenentrechtung, sowie schleichende Entdemokratisierung zu organisieren. Alle zuvor genannten Parteien hatten Hartz-Reform und Agenda 2010 zur Notwendigkeit erklärt. Alle genannten waren begeisterte Finanzmarktanhänger vor der Finanzkrise (und sind zumindest keine grundlegenden Kritiker nach jener Krise4). Alle halten die Wettbewerbserzählung von tugendhafter Lohnzurückhaltung für wahr und propagieren sie, nur eben in unterschiedlichen Ausprägungsgraden. Alle der zuvor genannten Parteien waren für die europaweiten Schuldenbremsen (Fiskalpakt) und somit für den Abbau europäischer Sozialstaatlichkeit und für die Fabrizierung von Gründen zukünftiger Privatisierungen.

Abgesehen vom wirtschaftlichen und sozialen Katastrophenkurs haben CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP das demokratische Bäumchen-Wechsle-Dich-Spiel genutzt, um aus Deutschland den drittgrößten Waffenexporteur weltweit zu machen (mit umfassenden Lieferungen an Diktaturen). Sie haben Deutschland durch Kosovo-Krieg, Afghanistan-Krieg, die “Verteidigung unserer Sicherheit am Hindukusch” (Peter Struck, SPD) und zahlreiche weitere Einsätze zum Global Player in Sachen Kriegseinsätze gemacht. Sie haben die Überwachung ausgebaut (erinnere die Otto-Kataloge) und dem Wirtschaftslobbyismus den roten Teppich ausgerollt. Die ununterbrochenen Spendengelder aus Finanzbranche und Industrie dürften hierbei auch in Zukunft zu einschlägiger Politik motivieren. Doch, dass das vergangene Verhalten die beste Vorhersage für das zukünftige liefern dürfte, wird auch dadurch bestärkt, dass der Wahlkampf trotz dieser himmelschreienden Missstände weiterhin ganz auf Personen und hohle Phrasen setzte. SPD und Grüne können bislang keine wirkliche Opposition sein, da sie dann auf Abstand zu sich selbst gehen müssten und ihre neoliberal unterfütterte Großmannssucht hinter sich zu lassen hätten, die die Menschen in Deutschland nicht nur in internationale Kriege, sondern ebenso in ein verrücktes Wirtschaftsmodell und die soziale, sowie demokratische Demontage und die damit verbundene Angst, sowie viele unter ihnen in die Perspektivlosigkeit getrieben hat.

Immerhin, eine ernstzunehmende Oppositionspartei, die gesellschaftlich genügend verankert ist, um die Hürde in den Bundestag zu nehmen und mit ihren Anfragen Missstände aufzudecken, sowie durch ihre Reden, den zahlreichen Benachteiligten eine Stimme zu geben, verbleibt in diesem Land. Es sei also das demokratische Nadelöhr am Sonntag genutzt und auch darüberhinaus Wachsamkeit an den Tag gelegt. Es gibt nämlich kein Entkommen, Bundespolitik wirkt bis in jedes Wohnzimmer und jedes Arbeitsverhältnis hierzulande. Und sie sorgt über ihre internationalen Verflechtungen dafür, dass die Menschen auch weltweit die Unaufmerksamkeit und Fehlvorstellungen ausbaden müssen, mit denen die Menschen hierzulande an die Wahlurne gehen oder die eben dafür sorgen, dass Menschen ihr fernbleiben und somit den kurzsichtigen Eliten das Feld überlassen.

  1. und somit kurioserweise in Richtung dessen, was gerade die Ursache der Krise damals und heute war und ist []
  2. D.A.CH Vermögensreport 2011: 799 000 Euro-Millionäre in Deutschland im Vorkrisenjahr 2007, 830 000 im Jahr 2010, das Gesamtvermögen dieser Gruppe stieg über die Finanzkrisenphase hinweg um rund 7% []
  3. Staatsschuldenstand 2007: 1583 Mrd. Euro, 2010: 2056 Mrd. Euro []
  4. Von einem “nach” kann eigentlich keine Rede sein, sie hat schließlich bestenfalls eine Pause eingelegt, überbewertete Finanzposten, hoch korrelierte Märkte und ausgeuferter Derivatehandel bestehen schließlich weiterhin []

Jascha Jaworski

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