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No 246

“Hier war es Gerhard Schröder mit seiner neuen Mitte, der wiederum vom Soziologen Ulrich Beck beeinflusst wurde. Auch Beck hing der Idee einer zweiten Moderne nach. Zudem bekam die Individualisierung mehr Bedeutung als kollektive Identitäten, weshalb natürlich auch Gewerkschaften und ähnliche Organisationen ihre Bedeutung verloren. Nach diesen Ideen etablierte man so etwas wie den Konsens der Mitte. Das verkaufte man als Fortschritt, als Zeichen dafür, dass die Demokratie reifer geworden ist. […]
Wenn man keinen fundamentalen Unterschied zwischen Mitte-rechts und Mitte-links mehr sieht, haben die Leute bald das Gefühl, dass es nicht wirklich Sinn hat, zur Wahl zu gehen, weil sie ohnehin nichts Neues bekommen. Da gibt es zwei mögliche Reaktionen: Entweder verlieren sie das Interesse an Politik, oder sie fühlen sich von Rechtspopulisten angezogen. Denn die sagen: Ja, es gibt eine Alternative. Im Fall Österreich war das schon früher so. […]
Wir sahen die Entwicklung auch in Frankreich. Bei Mitterrand vollzog sich ein Schwenk während seiner Amtszeit. Von radikaleren Ideen hin zu >>es gibt keine Alternative<<. Genauso in Spanien – so wurde diese Idee, die ich den Konsens der Mitte nenne, dominant in ganz Europa. […]
Sozialdemokratische Parteien haben angefangen, sich um gesellschaftliche Themen zu kümmern, etwa um gleichgeschlechtliche Ehe und andere Dinge, die nichts mehr mit der Transformation von Machtverhältnissen in der Gesellschaft zu tun hatten. So konnten sie – wenn sie schon neoliberale Globalisierung akzeptierten – zumindest sagen: Wir sind ein bisschen fortschrittlicher als die anderen.”

(Chantal Mouffe, Professorin für Politische Theorie an der University of Westminster – “Das System der Mitte kollabiert”, der Standard, 10.5.2015)

Nachtrag:

Wer sich die Ideologie der “Mitte”, die offenbar dort, wo einst Sozialdemokratie war, fortschreitend die Realität auszublenden vermag, jüngst vor Augen halten will, sei auf die schlussfolgernden Äußerungen des SPD-Parteivorsitzenden Gabriel nach der desaströsen Wahlniederlage in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt (Pulverisierung der Partei auf 12,7, bzw. 10,6% der wählenden Bevölkerung) verwiesen:

“Das Deutschland, das in Jahrzehnten entstanden ist, ist ein liberales Land mit einem starken sozialen Zusammenhalt. Dafür steht die SPD: für Liberalität und sozialen Zusammenhalt.
Und wir werden nicht zulassen, dass die großen Vereinfacher in diesem Land die politische Substanz und die Richtung der deutschen Politik gefährden, in Frage stellen oder gar unterminieren. Ich rufe alle auf, sich diesem Kampf um die demokratische Mitte in unserem Land zusammen mit uns anzuschließen.”

(Eine Zäsur in Deutschland, Sigmar Gabriel, 13.3.2016)

Wer noch einmal eine Erinnerung daran benötigt, wie es um die SPD und den “sozialen Zusammenhalt” steht, sei an die Hartz-Reform erinnert, zu der wir hier 2014 einige Informationen für einen Vortrag zusammengestellt hatten: “Die Hartz-Reform – Eine Erfolgsgeschichte? Wessen Geschichte und Erfolg für wen?”

Wichtig wäre, dass nicht weiter zugelassen wird, wie sich mit der Partei auch die Idee der Sozialdemokratie in der Bevölkerung immer weiter auflöst, leider gibt es hier eben eine feste Verkopplung. Daher müsste Gegenwind wie jener aus Bayern dringend zunehmen:

„Zeit für die Mutigen“ – ein corbynesker Wind aus Bayern

Jascha Jaworski

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